Prozessbericht. Am 30.10.23 ging es in den dritten Verhandlungstag zum Prozess von I wegen Block Neurath. Insgesamt ein anstrengender Verhandlungstag, mit Auseinandersetzungen drinnen und draußen und fünf Zeug*innen-Vernehmungen. Weiter geht es am Di, 14.11. um 11 Uhr und je nach Vorankommen auch noch am Di, 28.11.
Los ging es relativ spät, denn wie immer war es schwierig, vor Prozessbeginn ins Gericht zu kommen, sodass diesmal auch die Angeklagte noch in der Schlange wartete, als der Prozess längst beginnen sollte. Mit einiger Verzögerung startete der Prozess dann mit der Verkündung zahlreicher Beschlüsse zu Anträgen von vergangenen Verhandlungstagen – so schnell, dass niemand verstehen konnte, worauf sich die jeweiligen Ablehnungen der Anträge der Verteidigung bezogen – wie so oft der Richterin egal.
Weiter ging es mit der ersten Zeuginnenvernehmung. Die Polizistin S. hatte den Tag über im Auto gesessen und Protokoll geschrieben, bzw notiert, was ihr zugetragen wurde. Von wem welche Information kam, wurde dabei nicht festgehalten. Sie unterschrieb auch eine Gefahrenprognose, die dazu dienen sollte, einen 7-Tage andauernden Gewahrsam zu rechtfertigen. Darin wird allerlei wirres Zeug behauptet, wie dass die Verschleierung der Identität dazu diene, länger zu bleiben oder dass das Anlegen des Lock-Ons vor Polizeikontakt dazu da wäre, um im Schutz der Anonymität Straftaten zu begehen. Erklären konnte S. diese Argumentationen nicht, behauptete jedoch sie selbst geschrieben zu haben. Als ihr vorgehalten wurde, dass ihre Prognose zu 80% wortgleich mit einer anderen mit identischen Formulierungen sei und sie trotzdem darauf beharrte, sie unabhängig verfasst zu haben, fragte die Verteidigung: „Wollen Sie mich verarschen?“ Die Richterin lehnte eine Vereidigung natürlich ab – Polizist*innen dürfen wohl auch lügen.
Der nächste Zeuge R. war immerhin auch auf den Gleisen gewesen, meinte sogar die Angeklagte identifizieren zu können. Er war gegen Nachmittag dort angekommen, vor Ort seien 4 Personen gewesen, zwei angekettet, zwei zur Unterstützung. R. versuchte sich diesmal im Gegensatz zu früheren Vernehmungen nicht an einer Beschreibung der Ankettkonstruktionen, er habe schließlich nur die technische Einheit gegen Gefahren gesichert. „Vorsicht“, so sagte er, sei schließlich „die Mutter der Porzellankiste“ – eine konkrete Gefahr konnte er jedoch nicht benennen. Aber Befehl ist wohl Befehl.
Der aushilfsweise mitgekommene Beamte der Wasserwerfersonderwagengruppe konnte wieder mal nur sagen, dass er Protokoll geschrieben hätte – er würde nicht hinterfragen, was er aufschreiben solle, auch wenn das heiße, bei Verletzungen widersprüchliche Behauptungen wie „augenscheinlich keine (kleine Schürfwunde)“ ins Formular einzutragen. Entscheidungen hätte sein Chef getroffen, gearbeitet die anderen Beamten der Technischen Einheit.
Der nächste Beamte der technischen Einheit A. erinnerte sich ebenfalls an die Situation, bei der 3 Personen an einem Gleis und drei am anderen angekettet gewesen seien. Die Angeklagte wäre in einem in das Gleisbett eingelassenen Betonblock angekettet gewesen (von dem er sagte, dass er gut gebaut gewesen wäre und dass einbetonierte Felgen und Motorradreifen den Räumungsvorgang erschwert hätten).
Stellungnahmen der Angeklagten zu den Zeugenvernehmungen wurden in der Regel durch Staatsanwältin und Richterin unterbrochen mit dem Hinweis, dass allgemeinpolitische Ausführungen hier nichts zu suchen hätten. Dass es in der Strafprozessordnung nur heißt, dass die Plädoyers nicht vorweggenommen werden dürfen in Stellungnahmen, interessierte sie nicht. Die Richterin meinte zunächst, dass sie und die Angeklagte sich einig sein müssten im Hinblick auf die Verfahrensführung, was diese energisch verneinte. Die Richterin unterbrach schließlich die Verhandlung, als die Angeklagte weiterlas. In der dadurch entstandenen Pause bestand so zumindest die Möglichkeit, dem daran sehr interessierten Publikum noch Teile der Stellungnahme vorzulesen.
Publikum, welches sich beschwerte und schließlich einen Luftballonhund erstellen wollte, wurde rausgeworfen. Trotzdem gab es einiges an Papierfliegern, Flummis und sonstigen Unterhaltungen. Als die Staatsanwältin meinte, dass das aus Respekt auch vor der Angeklagten zu unterlassen sei, reagierte die Verteidigung mit dem Hinweis, dass sie dafür ja auch die Angeklagte fragen müsste, die ihrerseits keine Einwände gegen Applaus oder kritische Bemerkungen aus dem Publikum hatte.
Der letzte Zeuge schließlich, ein Rechenkünstler von RWE, der den vermeintlichen Schaden berechnet hatte, beantwortete alle Fragen der Verteidigung mit langen Ausführungen dazu, warum die Frage aus seiner Sicht falsch wäre und nichts zur Sache tue, anstelle von kurzen, präzisen Antworten – wohl mit dem Ziel eine Vernehmung zu erschweren und seine Sicht auf die Schadensberechnung eloquent durchzusetzen. Vor dem Amtsgericht Grevenbroich bei Fr. Dr. Zieschang wohl auch mit Erfolg, obwohl beim Landgericht schon kritisch hinterfragt worden war, warum eigentlich die Gewinne von RWE nicht abgezogen worden wären. Weiterhin jedoch gibt es keinerlei Belege für seine Berechnungen zum Schaden – was auch in dieser Vernehmung deutlich wurde. Spannend wurde es dann gegen Ende als es um seine Vorbereitung auf die Vernehmung ging – oder wäre es geworden, hätte die Richterin sich nicht geweigert, die Frage zuzulassen, welche Anweisungen für sein Verhalten vor Gericht er von der Rechtsabteilung von RWE bekommen hatte. Und dass obwohl E-Mails in der Ermittlungsakte jedenfalls prozessbezogene Kommunikation explizit belegen. Diese Zeugenbeeinflussung soll offensichtlich lieber nicht aufgeklärt werden.
Auch aus den Akten erfuhr die Verteidigung, dass eine RWE-Angestellte sogar soweit gegangen war, beim Gericht nachzufragen, ob es nicht möglich sei, den Zeugen separat einzulassen, die Einlassverfügung für ihn in Teilen außer Kraft zu setzen und ihm das Warten in der „Aktivisten-Schlange“ zu ersparen. Zwar lehnte das Gericht das ab, aber dass RWE wie selbstverständlich auf die Idee kommt, eine Sonderbehandlung der eigenen Zeugen einzufordern, spricht für sich.
Dann setzte die Richterin eine Frist zum Stellen von Beweisanträgen bis eine Viertelstunde nach dem Beginn des nächsten Hauptverhandlungstermins am 14.11. Als die Angeklagte dann sagte, sie wolle Beweisanträge noch in der Hauptverhandlung einreichen, unterbrach die Richterin diesen Prozess nach wenigen Anträgen und vertagte die Verhandlung.
Die Kundgebung vor dem Amtsgericht ist diesmal klein und ruhig. Es wird aus dem Buch ‚Glitzer im Kohlestaub‘ über Knast-Erfahrungen und andere Blockadeaktionen vorgelesen. Zwei solidarische Prozessbeobachtis werden aus dem aus dem Gericht geschleift, die immerpräsente Polizei wird nervöser. Als das nächste mal Musik angeschaltet wird, beginnen sie die Kundgebung anzugreifen: Tische und Stühle werden umgeschmissen, Menschen werden umgeschubst. Im Gerichtssaal sind von draußen Schreie zu hören. Eine Person steht im Fokus der Polizei und wird festgehalten und gewürgt.Wer versucht zu filmen wird ebenfalls Zielscheibe. Mit dem Vorwurf des Widerstands wird eine Person zur Personalienfeststellung mit aufs Revier genommen, aber relativ schnell wieder freigelassen.
Nachher tauchten im Stadtbild noch einige Plüschtiere auf, welche auf diese Seite verweisen und den Artikel dekorieren.