Gewahrsam

Die Polizei darf Menschen in Gewahrsam nehmen, um Gefahren abzuwehren, Platzverweise durchzusetzen, Straftaten zu unterbinden oder die Identität von Personen festzustellen. Gerade in letzter Zeit nimmt die Zahl der Fälle zu, in denen tatsächlich 7 Tage Gewahrsam bei Personalienverweigerung angeordnet und durchgesetzt werden. Wir nehmen das zum Anlass uns mit Rechten und Haftbedingungen im Polizeigewahrsam zu beschäftigen. NRW ist dabei Bezugspunkt. In anderen Bundesländern können leicht abweichende Regeln gelten, checkt dafür das jeweilige Polizeigesetz und falls existent Gewahrsamsordnungen.

Anrufe und Anwält*innen

Wenn du in Gewahrsam genommen wirst, hast du (quasi sofort) das Recht auf einen Anruf, also eine beliebige Vertrauensperson zu benachrichtigen. Wenn es einen EA gibt, nutz den Anruf dafür. Menschen die dich suchen können dann beim EA nach deinem Verbleib fragen. Die Praxis ist leider, dass Telefonate oft vehement eingefordert werden müssen und manchmal auch gar nicht zugelassen werden. Es lohnt sich, das nach Schichtwechsel der Beamt*innen nochmal zu versuchen, wenn’s vorher nicht klappt. Manchmal lassen sie dich bei längerem Gewahrsam auch häufiger, zum Beispiel einmal am Tag telefonieren. Dein Anruf zählt nur, wenn er auch erfolgreich war: Geht am anderen Ende niemand dran oder ist der Empfang zu schlecht, darfst du es nochmal probieren.

Anwält*innen darfst du immer anrufen, so oft du willst. Du kannst den EA nutzen um dir wen vermitteln zu lassen (gibt dafür deine Gesa-Nummer von der Polizei an den EA weiter) – vor allem in Fällen von richterlichen Prüfungen (Gewahrsamsprüfung oder Haftrichter*innen-Vorführung) versuch speziell dazu den EA nochmal anzurufen. Wenn sich ein*e Anwält*in für dich meldet, hat meistens der EA das organisiert. Bitte sprich kurz mit der*dem Anwält*in, auch wenn du meinst keine Hilfe zu benötigen, denn sonst macht sich der EA Sorgen die Cops könnten das verhindert haben. Wenn du lieber Laienverteidigung willst, kümmer dich im Vorfeld drum, wer sich das vorstellen kann. Dabei kann es allerdings sein, dass das nicht gelingt, also deine Laienverteidiger*in nicht zugelassen wird.

Richterliche Entscheidung und Dauer

Theoretisch muss die Polizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung darüber herbeiführen, ob sie dich/euch überhaupt länger festhalten darf. In der Rechtsprechung sind damit eigentlich so 2-3 Stunden gemeint, unsere Praxis-Erfahrungen zeigen, dass das auch schon mal 20 Stunden sein können. Ohne richterliche Entscheidung darf die Polizei euch maximal bis Mitternacht des Folgetages festhalten, also fast 48 Stunden wenn ihr seit kurz nach MItternacht festgehalten wurdet. Ansonsten sind die Regelungen zur Festhaltedauer in den Polizeigesetzen der einzelnen Bundesländer geregelt und da sehr unterschiedlich. Ihr könnt die Zeiten unter polizeigesetz.nirgendwo.info fürs jeweilige Bundesland nachschlagen (oder eben im Gesetzestext direkt). Die Zeit läuft ab dem Zeitpunkt, ab dem ihr euch nicht mehr frei bewegen könnt, also auch schon draußen im Kessel.

Wie lange eine Person von der Polizei festgehalten werden darf, hängt auch von dem Grund des Gewahrsams ab:

In NRW darf die Polizei euch zur Verhütung von Verbrechen (das sind schwere Straftaten, also sowas wie Totschlag) bis zu 28 Tage einsperren, bei Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit für irgendwen bis zu 7 Tagen und ansonsten nur bis Mitternacht Folgetag zur Gefahrenabwehr. Zur Feststellung der Personalien sind 12 Stunden erlaubt, es sei denn, die Identität wird verschleiert, dann gehen auch dafür 7 Tage. In der Praxis heißt das, dass die Polizei Menschen mit glitzerverklebten Fingerkuppen (um verwertbare Fingerabdrücke zu verhindern) mit richterlichem Beschluss bis zu 7 Tage einsperren kann und das immer mal wieder auch tut. Gerade bei Kleingruppenaktionen ist das in letzter Zeit häufiger vorgekommen. Menschen sind vorzeitig rausgekommen, wenn bei ihnen taugliche Fingerabdrücke zu nehmen waren oder sie Personalien angegeben haben, teilweise war es da nötig der Polizei eine Personalausweiskopie zuzuschicken.

Durchsuchung

Wenn ihr in Gewahrsam kommt, durchsucht die Polizei meistens euch und euer Gepäck , manchmal auch mehrmals. Das kann durch Abtasten oder mit Ausziehen passieren. Theoretisch gibt es ein Gerichtsurteil https://openjur.de/u/865540.html, was den Cops verbietet, Menschen komplett zu entkleiden, ohne dass es eine konkrete Gefahrenprognose für die Person gibt, aber in der Praxis kommt das doch sehr oft vor. Dann wird meistens alles abgenommen, womit mensch sich auch nur theoretisch verletzen könnte, oft auch Schuhe (oder die Schnürsenkel daraus), in krassen Fällen auch die Brille oder die meiste Kleidung.

Videoüberwachung

In NRW darf die Polizei mit der Prognose, dass ihr euch selbst verletzen wollt, die Zellen auch komplett videoüberwachen (auch so eine miese Neuerung der letzten Jahre). Es gab auch schon ein Gericht, was das nach einer Aktion gegen Kohlezüge erlaubt hatte (aus Schikane, obwohl ziemlich offensichtlich keine Suizid-Gefahr volag), das wurde aber noch während dem Gewahrsam juristisch gekippt.

Post und Bücher

Kommen wir zu ein paar guten Nachrichten. Bei einigen Stunden in Gewahrsam wird die Polizei euch in der Regel alles wegnehmen, was ihr dabei habt. Dauert es länger, gibt es gute Chancen, dass ihr Bücher und Zeitschriften aus eurem Rucksack bekommen könnt. Laut der Gewahrsamsorndnung in NRW habt ihr das Recht, handesübliche Zeitschriften zu beziehen und Post zu erhalten (im üblichen Briefformat bis 50 Gramm ist das vorgeschrieben), meist wird die Post oberflächlich auf verbotene Gegenstände kontrolliert. Damit dass Menschen draußen Sachen für euch abgeben und ihr die bekommt, haben wir unterschiedliche Erfahrungen gemacht: Oft funktioniert das zumindest einmal oder einmal Tag, manchmal öfter. Angekommen sind häufiger Bücher und Kleidung, manchmal aber auch vegane Snacks oder was zu schreiben. Da kommt es drauf an, es auszuprobieren und sich nicht zu schnell abwimmeln zu lassen.

Damit Adressen veröffentlicht werden können, sind die UP-Nummern der Polizei für euch hilfreich, versucht also den EA darüber zu informieren. Mit den UP-Nummern sortiert die Polizei mehrere anonyme Personen, die ihre Identität verweigern, z.B. UP1, UP2 usw. Ein Brief in der Zelle kann den Tag retten und bedeutet so viel mehr als draußen, weil es oft der einzige Kontakt mit lieben Menschen ist. Denkt daran, überwindet euch und schreibt Eingesperrten!

Verpflegung und andere Rechte

In NRW gibt es tatsächlich in der Gewahrsamsordnung ein Anrecht auf veganges Essen (oder eben den Speisevorschriften der jeweiligen Religionsgemeinschaft zu folgen) und ihr habt Anrecht auf eine „angemessene Verpflegung“, die ist oft aber genauso schlecht wie die Vorstellung davon. Noch ein paar andere wichtige Punkte zu euren Rechten: Immer habt ihr Anrecht auf eine Decke und ausreichend Wasser sowie Toilettengänge und könnt verlangen, dass das Licht nachts ausgemacht wird. Auch dürft ihr mehrmals die Woche duschen und Hygienebedürfnisse erfüllen, euch müssen dafür Sachen zur Verfügung gestellt werden wie z. B. eine Zahnbürste, bei längerem Gewahrsam funktioniert letzteres auch. Ihr habt außerdem das Recht auf 45 Minuten Aufenthalt im Freien unter Aufsicht (sofern „Gründe der Sicherheit nicht entgegenstehen“). Manche Polizeiwachen haben das in der Vergangenheit verweigert, denn bekanntermaßen hält sich die Polizei selber oft nicht an geltende Gesetze. Außerdem gibt es ein Recht darauf, Besuch von Anwält*innen oder Geistlichen zu bekommen (wenn also die Bullen sagen, da wäre eine geistliche Person für dich, war vielleicht der EA aktiv um dir einen Besuch zu organisieren).

Viele der Rechte werden leider nicht automatisch und selbstverständlich gewährt, sondern du musst sie aktiv einfordern. Das kann echt anstrengend und zermürbend sein. Deshalb ganz wichtig: Mach womit du dich besser fühlst, ob das ist, sich möglichst zurück zu ziehen oder aktiv um Rechte zu streiten, es gibt da kein richtig oder falsch. Wenn es dir gut damit geht, Rechte einzufordern und noch andere am gleichen Ort gefangen sind, versuch sie gleich mitzudenken und Sachen gleich für euch zusammen zu erstreiten.

Gesa-Support und danach

Wenn ihr rauskommt und draußen warten Menschen auf euch, ist das oft sehr schön, aufgefangen zu werden. So einen Gesa-Support zu organisieren ist oft anstrengend, gerade wenn die Cops mal wieder Menschen auf unterschiedliche Polizeiwachen in NRW verteilen und in jeder Stadt ein Gesa-Support aufgebaut wird. Diskutiert vorher in eurer Aktionsgruppe einen Umgang und ob ihr das hinbekommt. Nach dem Rauskommen kann es hilfreich sein, mit anderen, z. B. in der Bezugsgruppe oder Menschen mit ähnlichen Erfahrungen, über das Erlebte zu sprechen um zu verarbeiten. Auch Gedächnisprotokolle (gut verschlüsselt abgelegt) können dabei helfen. Wenn es nicht besser wird, sind out of action Strukturen für emotionale Probleme im Nachhinein anprechbar.

How-To Gesa-Support: http://antirrr.nirgendwo.info/files/2020/02/How-to-Gesa-support-januar-2020.pdf

Emotionale Erste Hilfe für Aktivist:innen: https://outofaction.blackblogs.org/

Ausblick: Personalienverweigerung?

In den letzten Jahren ist es in unserer Szene sehr üblich geworden, Personalien zu verweigern und Fingerkuppen zu ritzen und zu verkleben. In NRW hat der Staat darauf reagiert und mit dem „Lex Hambi“ (Polizeigesetz) den 7-Tage-Gewahrsam eingeführt und wendet ihn immer wieder gegen Klimaaktivistis an. Auch auf Bundesebene hat die Innenministerkonferenz beschlossen, die Strafprozessordnung zu verschärfen um auch darüber einen längeren Gewahrsam bei Personalienverweigerung zu ermöglichen. Wir finden es ist sinnvoll, immer wieder unter den sich verändernden Umständen neu zu diskutieren, ob Personalienverweigerung weiter eine schlaue Strategie ist und zu überlegen, was möglichst repressionsarme und dabei politisch-strategische Verhaltensmöglichkeiten sein können. Dabei ist es natürlich schwer zu entscheiden und vor allem individuell unterschiedlich, ob ein möglicherweise langes Gerichtsverfahren oder 7 Tage Gewahrsam die schlimmere Repression sind. Gerichtsverfahren sind kein Weltuntergang. Aber beides hat Vor- und Nachteile – deshalb fühlt euch bitte nicht unter Druck gesetzt, in jedem Fall eure Personalien zu verweigern (oder eure Fingerkuppen zu verkleben)!