Als Zeug*in geladen

Ein Brief mit einer Vorladung als Zeugin flattert ins Haus, die Polizei fragt Verletzte im Krankenhaus nach Erlebnissen, alles um aufzuklären, der Wahrheit ans Licht zu helfen. So jedenfalls die Propaganda. Aber auch wenn Cops nach Verfehlungen anderer Cops fragen steht oft ein Interesse dahinter mehr über unsere Aktionen und Strukturen zu erfahren, um bessere Spaltungsstratgien zu entwerfen oder Menschen zu verurteilen. Weil alles nur gegen uns oder andere Aktive verwendet wird, empfehlen wir (wie fast alle Antirepressionsgruppen) die Aussage zu verweigern. Aber was heißt das als Zeug*in überhaupt? Mit diesem Schwerpunkt wollen wir aufklären: Wie ist eigentlich die Rechtslage? Welche Möglichkeiten zu Agieren gibt es? Und was sind mögliche Konsequenzen?

Die Rechtslage

Als beschuldigte Person darf mensch in jeder Situation die Aussage verweigern. Bei Zeug*innen ist das komplizierter. Die Polizei darf Menschen als Zeug*innen vernehmen oder vorladen. Wenn die Vorladung nur von der Polizei ist, kann sie ignoriert werden, bei einer Vernehmung vor Ort die Aussage verweigert werden. Seit 2017 ist es jedoch so, dass bei staatsanwaltschaftlich angeordneten Vorladungen eine Erscheinens- und Aussagepflicht herrscht. Ob diese Anordnung besteht erkennst du daran, welche Rechtsbehelfsbelehrung in dem Brief steht, den du bekommst. Wenn nichts drin steht, was passiert, wenn du nicht kommst und aussagst, kannst du den Brief ignorieren. Auch bei einer Ladung zur Staatsanwaltschaft oder zu Gericht bist du als Zeug*in verpflichtet zu kommen und auszusagen (§48 Strafprozessordnung (StPO)).

Es gibt einige Ausnahmen. Du hast das Recht zu schweigen, wenn du dich selbst belasten könntest, also beispielsweise wenn ein Strafverfahren auch gegen dich läuft oder laufen könnte (§55 StPO), wenn du mit der beschuldigten Person verwandt oder in Partnerschaft bist (eine Verlobung reicht) (§52 StPO). Außerdem dürfen Berufsgeheimnisträger*innen die Aussage verweigern (z.B. Journalist*innen, Ärzt*innen, Anwält*innen, Geistliche) (§53 StPO). In allen anderen Fällen sieht das Gesetz vor, dass du aussagen musst, was aber natürlich nicht heißt, dass du das auch tun musst. Wir halten uns sonst ja auch nicht an Gesetze, die wir falsch finden.

Was wenn ich nicht komme?

Was gibt es also für Möglichkeiten, wenn du der Polizei keine Informationen liefern willst um andere verfolgen zu können (was echt unsolidarisch wäre)? Jede der Optionen kann, muss aber nicht mit Repression verbunden sein. Hier wird dargestellt, was passieren kann, was nicht heißt, dass die Möglichkeiten zwangsläufig ausgenutzt werden. Oft passiert auch einfach gar nichts, gerade bei Vernehmungen die nur staatsanwaltschaftlich angeordnet durch die Polizei durchgeführt werden sollten.

Die erste Option: Nicht hingehen. Dann kann nur etwas passieren, wenn die Zustellung der Ladung nachgewiesen wurde (also du einen gelben Brief bekommen hast).

Wenn du nicht kommst, werden dir die Kosten, die durch dein Wegbleiben entstehen auferlegt und es kann ein Ordnungsgeld verhängt werden zwischen 5 und 1000 Euro. Das kann auch beim zweiten Nichterscheinen passieren, öfter jedoch nicht.

Zusätzlich kann passieren, dass eine zwangsweise Vorführung angeordnet wird (§135 StPO). Das heißt du wirst zu Hause abgeholt oder an einem anderen Ort aufgegriffen, eventuell noch einen halben Tag im Gericht eingesperrt und dann von eine*r Richter*in vernommen.

Willst du die Ladung allerdings herauszögern oder bist optimistisch, dass sie es sein lassen, wenn es zu kompliziert wird, kann ein Wegbleiben eine Chance sein.

Wenn ich komme, dann nicht alleine

Abgeholt werden kannst du dir nicht vorstellen? Das wäre problematisch mit deinen Eltern oder einer Arbeitgeberin? Das zögert das mit der Vorführung nur heraus? Dann musst du wohl oder übel hingehen. Das heißt aber nicht, dass du das alleine machen musst. Du hast das Recht auf einen Zeugenbeistand, den*die du mitnehmen kannst zur Vernehmung und mit der*dem du dich dann dort beraten kannst und der*die für dich Erklärungen und Anträge abgeben kann oder dir helfen kann, Aussageverweigerungsrechte durchzusetzen (§68 StPO). Das kann ein*e Anwält*in sein, aber auch eine andere Person deines Vertrauens, die du dann nach §138 III StPO mitnimmst (in dem Fall schreib dir am besten den Paragrafen vorher auf, den kennen Polizei und Gerichte oft nicht).

Eine Warnung dabei aber noch: Manche Anwält*innen raten gerne zu Zeug*innen-Aussagen weil das gesetzlich so vorgesehen ist und dich aus der Schusslinie bringt – politisch und strategisch muss das deshalb noch lange nicht richtig sein.Wenn du Beistand haben möchtest und selbst niemand kennst, hol dir Rat bei der Rechtshilfgruppe deines Vertrauens.

Lügen oder nicht erinnern?

So jetzt sitzt du also mit oder ohne Beistand bei der Polizei oder im Gericht. Wahre Aussagen würden Freund*innen belasten und zu Verurteilungen führen oder auch nur dazu, dass die Polizei mehr über eure Strukturen rausfindet. Viele Menschen überlegen dann, zu lügen oder sich nicht zu erinnern. Die Strategie sich nicht zu erinnern mag erst mal verlockend klingen, funktioniert aber nicht bei allen Fragen. Auf die Frage: „Kennst du die Person?“ kannst du schwerlich sagen: „Weiß ich nicht mehr“, denn das ist offensichtlich gelogen. Und sobald du einmal anfängst mit dem Beantworten von Fragen ist es schwer, ein Ende zu finden. Lügen können auffliegen.

Und dann wird es richtig stressig: Falschaussage ist strafbar (§153 Strafgesetzbuch (StGB)) und wird mit mindestens drei Monaten bestraft, also bist du gleich bei einer Vorstrafe, die im Führungszeugnis eingetragen wird (auch wenn sie wahrscheinlich zur Bewährung ausgesetzt wird). Wenn das Gericht sich unsicher ist, ob du falsch ausgesagt hast, kann es dich vereidigen. Wenn du unter Eid falsch aussagst oder eine falsche eidesstaatliche Versicherung abgibst, liegt die Mindeststrafe bei einem Jahr (§154 StGB) – es kann also gut sein, dass du dafür im Knast landest. Das ist es nicht wert. Deshalb raten wir vom Lügen oder sich nicht erinnern ab. Weniger herum lawieren und aufrechter durch den Prozess gehen kannst du, indem du von vorneherein die Aussage verweigerst, egal ob das Gesetz es vorsieht oder nicht.

Aussage verweigern

Lange nachgedacht, hast du dich dann vielleicht entschieden, du willst die Aussage verweigern. Was nun? Du kannst schauen, ob es einen Verweigerungsgrund gibt, beispielsweise weil das Verfahren gegen dich genauso gut laufen könnte, z.B. weil eine der Personen die mit dir unterwegs waren als Leitung einer unangemeldeten Versammlung angezeigt wird, es aber genausogut dich hätte treffen können, gerade noch ein Verfahren gegen dich läuft oder wieder aufgenommen werden kann. Dann kannst du das sagen und rechtlich einwandfrei die Aussage verweigern. Wenn die Situation klar ist, klappt das auch meist gut, du solltest ihnen aber mit der Begründung warum du nicht aussagst keine Infos für ein Verfahren gegen dich liefern – das wäre kontraproduktiv. Andere Gründe wie Verlobung etc. können im Einzelfall eine Möglichkeit sein, aber nicht generell.

Nehmen wir also an, es gibt für dich kein Recht auf Aussageverweigerung oder du willst nichts darüber erzählen, wie du das hättest. Es kann sein, dass Polizei und Gericht dich dann trotzdem einfach gehen lassen, wenn du nichts sagst oder sagst, dass du keine Aussage machst oder dein Beistand das mitteilt. Es gibt allerdings auch weitere Möglichkeiten: Staatsanwaltschaft oder Gericht können ein Zwangs- oder Ordnungsgeld verhängen, das heißt du musst das Geld zahlen oder ersatzweise in den Knast, wenn du nicht zahlst. Nur vom Gericht verhängt werden darf Beugehaft (formaljuristich Erzwingungshaft). Das heißt du wirst in den Knast gesperrt, bis du aussagst. Eine Maximallänge muss angegeben werden und darf höchtens sechs Monate betragen. Alle angeordneten Maßnahmen müssen im Verhältnis zur Bedeutung der Aussage und der vorgeworfenen Straftat stehen. Wenn also jemand Hausfriedensbruch vorgeworfen wird und du dazu etwas aussagen sollst, kann es kaum sein, dass dafür tatsächlich Beugehaft angeordnet wird, weil bei der Verurteilung von Hausfriedensbruch auch in der Regel keine Knaststrafe im Raum steht. Wahrscheinlicher ist, dass ein Ordnungsgeld verhängt wird. Das bisherige Vorgehen bei größeren Verfahren (wegen Terrorismus und so) war, dass sie meist erst mal Ordnungsgeld angedroht haben, dann das verhängt haben, dann Beugehaft angedroht haben und dann das erst angeordnet haben. Selbst wenn das soweit kommen sollte, bleibt also Zeit einen Umgang damit zu finden.

Solidarität

So oder so, du bist nicht allein. Weder mit der Entscheidung, wie du mit der Situation als Zeug*in umgehst, noch hinterher mit den Folgen. Von Zwangsgeldern wegen Aussageverweigerung zahlt die Rote Hilfe gern auch 100% und auch die Klima-Antirepressionsgruppen unterstützen euch mit Beratung, Geld oder auch Knast-Support wenn nötig.