Wie die Cops Menschen identifizieren

Viele Menschen in der Klimagerechtigkeitsbewegungen geben ihre Personalien bei Aktionen und Festnahmen nicht an. Im Nachhinein bleibt oft die Angst vor einer Identifzierung und daraus folgender Repression. Damit diese Angst nicht vage bleibt, sondern besser einschätzbar wird, schauen wir uns heute an, wie die Polizei Menschen identifiziert. Wir versuchen euch zu allen Punkten eine Einschätzung aus unseren Erfahrungen der letzten Jahre zu geben. Wir haben dabei natürlich nicht alles mitbekommen und es kann sein, dass sich Dinge ändern. Unseres Wissens nach gilt ganz grundsätzlich, dass die Motivation bei den Cops unsere Personalien heraufzufinden sehr unterschiedlich stark sein kann und sie oft bei Weitem nicht alle der folgenden Mittel ausschöpfen. Das liegt nicht zuletzt an deren jeweilien zeitlichen und finanziellen Kapazitäten der Polizei sowie am Interesse der Politik.

Fast-ID und Fingerabdrücke

Die Polizei besitzt eine Datenbank, in etwa „automatisiertes Fingerabdruckidentifizierungssystem“, in welchem sie Fingerabdrücke, welche sie bei erkennungsdienstlichen Behandlungen bekommt, speichert und abgleichen kann. Gerade im Rheinland macht sie oft eine sogenannte Fast-ID, das heißt sie nimmt (oft schon vor Ort) Fingerabdrücke nur von Daumen und Zeigefinger und sucht sie im System. Fingerabdrücke werden wahlweise mit einem Scanner oder altmodisch mit Tinte genommen (die Scanner funktionieren manchmal nicht so gut, wenn Menschen drauf drücken oder verwischen, also nicht so gewillt sind mitzumachen, dann greifen die Cops öfter auf Tinte zurück). Wenn verwertbare Abdrücke zustande kommen, ist der Abgleich mit der Datenbank eher die Regel als die Ausnahme.

Auch auf dem Personalausweis (oder Reisepass) sind Fingerabdrücke gespeichert. Diese hat die Polzei jedoch noch nicht alle als Datenbank, sondern der Fingerabdruck befindet sich nur auf der jeweiligen Chip-Karte elektronisch gespeichert. Es gibt inzwischen Geräte, mit der die Cops auch auf wenige Meter Entfernung die Daten des Persos auslesen können – dass diese Geräte vermehrt zum Einsatz kommen, ist uns allerdings nicht bekannt.

Um Fingerabdrücke zu verschleiern, präparieren viele Menschen ihre Hände vor der Aktion. Dazu nehmen sie Rasierklingen oder Nadeln um sich die oberste Hautschicht leicht einzuritzen oder Fetzen aufzustechen, darauf kommt dann Sekundenkleber, Glitzer oder Dreck. Andere nehmen Sikaflex als zweite Schicht. Je nachdem wie gut das gemacht ist und wie hartnäckig die Cops versuchen das abzubekommen, kann das auch einen 7-Tage-Gewahrsam in NRW überstehen (dafür ist vorher allerdings Ausprobieren und Übung erforderlich).
Die Nichtangabe der Personalien ist übrigens nur eine Ordnungswiedrigkeit. Obwohl die Cops in seltenen Fällen drohen, das Verkleben der Fingerkuppen als „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ strafrechtlich zu verfolgen, sind uns keine Fälle bekannt, wo dies auch erfolgreich war.

Interne Fahndungen (z.B. Anfragen bei Polizeidienststellen)

Bevor es zu einer öffentlichen Fahndung kommt, versucht die Polizei oft erst mal intern nach Menschen zu fahnden (wenn sie nicht überhaupt keine Lust auf Ermittlungen haben, was durchaus auch vorkommt). Da nehmen dann Polizist*innen Bilder von Menschen beispielsweise auf linke Demos mit und ziehen die Leute heraus, die sie meinen wieder erkannt zu haben. Häufiger (und leider statistisch auch erfolgsversprechender) sind Anfragen an alle Polizeidienststellen der Bundesrepublik (oft per Mail), ob wer die gesuchten Personen kennt. So etwas ist es aus vielen Akten zunächst anonym agierender Personen bekannt. Darüber hinaus Auf diesem Weg gab es oft Identifizierungen von Personen, die lokal bei der Polizei bekannt sind, beispielsweise weil sie in ihrer Stadt Demos anmelden, weil sie jahrelang aktiv sind, weil es im Dorf eben nur zwei linke Aktivist*innen gibt oder einfach weil Personen sehr oft an vielen widerständigen Orten auftauchten und dann irgendwann Personalien bekannt wurden. Manchmal gibt es bei dieser Methode aber auch mehr oder weniger witzige Fehlidentifizierungen, so zum Beispiel wenn vor Ort kontrollierte Journalist*innen plötzlich als angeblich Angekettete identifiziert wurden, weil deren Personalien eben auch mehrmals auftauchten.

Internetrecherche

Deutlich weniger oft dokumentiert, aber auch aus Akten bekannt, geht die Polizei selbst auf Spurensuche im Internet, vergleicht ihre Fotos mit Instagram-Profilen oder anderen Social-Media-Plattformen – wenn sie motiviert sind, ein bisschen zu ermitteln. Es gibt Suchmaschinen mit denen Personen anhand ihres Bildes gefunden werden können. Das beste Mittel sich hier zu schützen ist es zu vermeiden, Fotos von sich mit Namen im Internet zu haben. Das ist allerdings in einem digitalen Zeitalter gar nicht mal so leicht.

Öffentlichkeitsfahndungen

Gerade die Polizei im Rheinland versucht in den letzten Jahren vereinzelt, aber immer mal wieder, Personen über eine Öffentlichkeitsfahndung zu finden. Wenn sie ein hohes Identifizierungsinteresse haben (d.h. der Staat ist genervt von uns und unseren Aktionen), veröffentlichen sie Fotos von Beschuldigten im Internet. Teilweise übernehmen auch lokale Zeitungen die Fahndungsaufrufe und veröffentlichen die Bilder. Das sind dann Bilder entweder von Demonstrationsgeschenissen oder von den erkennungdienstlichen Behandlungen, die sie bei anonymer Festnahme durchgeführt haben. Die Öffentlichkeitsfahndungen müssen richterlich abgesegnet werden und dürfen nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung gemacht werden (was genau erhebliche Bedeutung heißt, ist allerdings Auslegungssache). Wir wissen von Fahndungen nach Vorwürfen wie Körperverletzung, tätlichem Angriff oder Störung öffentlicher Betriebe. Nach der Veröffentlichung können sich Denunziant*innen bei der Polizei melden. Wir wissen, dass teilweise auch einfach Blockwart*innen (Leute, die gerne andere bei Autoritäten verpfeifen) die Bilder durch eine Bildersuche gejagt haben um der Polizei die Ergebnisse zu präsentieren. Darüber sind (unseres Wissen nach) nur vereinzelt Menschen identifziert worden. Wenn ihr entsprechende Aufrufe entdeckt, verbreitet sie bitte nicht weiter, um nicht mehr Aufmerksamkeit darauf zu lenken und eine Identifizierung möglichst unwahrscheinlich zu machen!
Weitere Tipps zum Umgang mit Fahndungsfotos gibts hier, geschrieben vom Rheinland-EA

Für Jura-Nerds oder zum Nachschlagen: Sowohl Öffentlichkeits- als auch interne Fahndungen (Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung) sind in den §131 und §131a Strafprozessordnung geregelt.

Superrecognizer

Ein neues Wort macht die Runde, sorgt für Schlagzeilen und jagt so manchen Aktivist*innen einen Schauer über den Rücken: Superrecognizer (to recognize = erkennen) sind Menschen, die sich Gesichter außergewöhnlich gut merken können und Personen auch in Menschenmengen schnell wiedererkennen. Diese Fähigkeit ist angeboren bzw. veranlagt und kann nicht erlernt werden. Bei der Polizei werden Superrecognizer für Fahndungen und Ermittlungen eingesetzt, sie sind aber in der Regel „normale“ Polizist*innen, denen diese Fähigkeit offiziell bescheinigt wurde. Hierfür werden Tests eingesetzt, die sich die deutschen Behörden aus Großbritannien einkaufen. Obwohl die University of Greenwitch die Lizenzen vergibt, wird die Wissenschaftlichkeit und Genauigkeit dieser Test und Zertifikate berechtigterweise angezweifelt. Wie gut das System funktioniert und wie zuverlässig die Ergebnisse der Superrecognizer sind, kann nämlich nicht wirklich gesagt werden. Bei der Bundespolizei (die z.B. für Bahnhöfe und Flughäfen zuständig ist) sind aktuell 113 Superrecognizer aktiv, bei den Landespolizeibehörden der Bundesländer schwankt die Zahl zwischen 3 (in Berlin) und 400 (in BaWü) (Quelle).
Was politisch Aktiven natürlich Sorge bereitet, ist der Gedanke, dass wir nun noch schneller und öfter wiedererkannt und demnach verfolgt werden könnten, sei es zur Überwachung, Ermittlung, Bestrafung oder anderer Repression. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass die meisten der Superregognizer im deutschen Polizeistaat auch schon vor ihrer Zertifizierung bei der Polizei gearbeitet haben und auch schon davor Personen von erfahrenen Ermittler*innen wiedererkannt wurden. Es sind stinknormale Beamt*innen, keine Cyborgs oder Außnahmegenies, denen nun ihr überdurchschnittliches Talent irgendwie bescheinigt wurde.
Ob die Zuordnung durch einen Superrecognizer im Zweifelsfall auch vor Gericht stand hält oder wie häufig das in der Praxis vorkommt, wissen wir noch nicht. (Meldet uns gern eure Erfahrungen!)
Die Gesichtserkennung durch Computer ist meistens schneller und billiger, aber noch weniger rechtlich abgesichert wenn es um Zuverlässigkeit oder Verwertung vor Gericht geht.

Automatische Gesichtserkennung

In der BRD ist automatische Gesichtserkennung zum Glück noch nicht so weit verbreitet. Genutzt wird Gesichtserkennung für den Bilderabgleich mit internen Datenbanken der Polizei. Leider werden die Algorithmen dort immer besser. Bisher wurden als Gegenmittel relativ gute Erfahrungen mit Bemalung von Gesichtern (mit möglichst vielen Punkten und Strichen, um die biometrischen Merkmale zu verschleiern) und Grimassen gemacht. Auf Demonstrationen lohnt sich die Abwägung, ob eine (verbotene) Vermummung schlau ist. Bisher ist die Erfahrung, dass Menschen eher darüber erkannt werden, dass sie einzelnen Cops bekannt sind (s.o.), als über eine automatisierte Gesichtserkennung – so zumindest steht es in den Ermittlungsakten.

Andere Länder wie dem Iran, wo Verstöße gegen das Kopftuchgebot per automatisierter Gesichtserkennung festgestellt werden, oder China, wo die Erkennung durch Videokameras ebenfalls alltäglich ist, zeigen uns die Möglichkeiten autoritärer Überwachungsgesellschaften. Auch hier zulande gibts es immer wieder staatliche Versuche, mehr automatisierte Gesichtserkennung einzuführen, die zum Glück nicht zuletzt von heftigen Protesten in Schach gehalten werden. Wie lange das noch so bleibt, ist allerdings fraglich.

Zum Schluss: Wir empfehlen vorsichtig zu sein, aber lasst euch nicht zu sehr einschüchtern! Versucht realistisch einzuschätzen, was die Möglichkeiten der Polizei (und Geheimdienste) sind und welche sie im konkreten Fall nutzen könnte. Achtet insbesondere auf digitale Spuren und überlegt ob ihr persönliche Daten im Internet preisgeben wollt. Tauscht euch aus, wenn ihr Angst habt und euch Sachen zu viel werden, beispielsweise bei langem Gewahrsam, Öffentlichkeitsfahndungen oder ähnlicher Scheiße. Lasst Menschen nicht allein, die identifiziert wurden und nun vor Gericht stehen. Solange wir zusammen stehen, gewinnen sie nicht.