Landgericht Mönchengladbach: Berufungsverhandlung wegen der Blockade des Kraftwerks Neurath im November 2021

Menschen mit Transparenten, Pavillion und Lautsprecherwagen vorm Gericht

Vorab: Weiter geht’s am 17. und 24.11.2023 am Landgericht Mönchengladbach

Mönchengladbach, den 27.10.2023. Am Landgericht Mönchengladbach begann heute das Berufungsverfahren gegen ein Klimaaktivisti, das in erster Instanz zu einer 9-monatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde. Vorgeworfen wird Blockade des größten Braunkohlekraftwerks in Deutschland, Neurath, im November 2021. Außerdem will die RWE die Aktivist*innen auf rund 1,4 Millionen Euro Schadensersatz verklagen.

Sichtlich genervt betritt die Vorsitzende Richterin Fr. Flecken den Gerichtssaal. Weil ihr viele Zuschauer*innen den Respekt verweigern und sitzen bleiben, als sie mit ihren Schöff*innen erscheint, eröffnet sie die Verhandlung gleich mit einer Drohung: Nichtaufstehehen könne als Ungebühr vor Gericht bewertet und geahndet werden, sagt sie und droht dem Publikum mit Rausschmiss, wenn sie sich weiter unterhielten. Die Verteidigung kritisiert die Sitzungspolizeiliche Anordnung als völlig unverhältnismäßig. Eine halbe Stunde nach Beginn der Verhandlung steht immer noch eine Schlange vor der Tür des Landgerichts Mönchengladbach. Die Menschen, die die angeklagte Person unterstützen wollten, klagen über die schikanösen Eingangskontrollen und Überwachungen im Gerichtsgebäude. Selbst die Anwältin wurde von den Justizwachtmeister*innen auf die Toilette begleitet.

Menschen stehen im Regen vorm GerichtNun verliest die Vorsitzende das Urteil des Amtsgerichts Grevenbroich, gegen das sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hatte. Die Staatsanwaltschaft will die die angeklagte Person außer wegen Nötigung und Störung öffentlicher Betriebe auch wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt hinter Gittern sehen. Die Verteidigerin bemängelt, dass noch freie Sitzplätze im Gerichtssaal seinen, obwohl draußen noch zahlreiche Besucher*innen auf Einlass warten. Daraufhin unterbricht die Richterin die Verhandlung für zwanzig Minuten. Ein Zuschauer beklagt sich lautstark über entwürdigende Behandlung durch die Wachteln. „Dann zeigen Sie den Beamten an“, meint die Vorsitzende lakonisch. Nach der Pause verhängt sie ein Ordnungsgeld von 150 Euro gegen einem Prozessbesucher, nur weil er sich den Anweisungen er Jusitzwachteln nicht ohne richterliche Anordnung Folge leisten will. (Zum Hintergrund: Eigentlich hat nur die Richterin im Prozess das Recht, Zuschauer*innen zur Ordnung zu rufen).

Dann äußert sich die angeklagte Person zur Anklage: Dey weist daraufhin, dass Konzerne wie RWE keine Verantwortung für die Folgen der CO2 Emissionen übernehmen. Dey berichtet, dass dey in Peru die Folgen der Klimakrise gesehen habe. Ganze Küstenregionen seien durch ungewöhnliche starke Niederschläge und Überschwemmungen zerstört worden. Viel zu oft liege unser Fokus auf den Folgen in Europa, während in Pakistan und Indien Millionen Menschen wegen der Überflutungen im vergangenen Jahr ihre Existenz verloren haben. Auf Staat und Politik sei kein Verlass. Sie verteidigten nur die Interessen der Konzerne, obwohl die kapitalistische Produktions- und Konsumtionsweise unser aller Lebensgrundlagen zerstört. Heute würden mehr Menschen durch die Folgen der Klimakrise vertrieben als durch Krieg und Gewalt, sagt dey: „Es macht mich wütend, dass Wirtschaft und Politik nichts gegen die Klimakrise unternehmen. Der Erde seien die Folgen der globalen Erwärmung egal, den Menschen könne das nicht egal sein, weil sie auf die klimatischen Bedingungen auf der Erde angewiesen sind.
Die Gerichte hätten die Einwände und Klagen von Umweltverbänden und Gemeinden gegen die Erweiterung des Tagebaus Garzweiler abgelehnt. Auch die Grünen hätten ihre Versprechen Garzweiler 2 zu verhindern, gebrochen und dem weiteren Kohleabbau im rheinischen Revier zugestimmt, obwohl die wasserrechtlichen Bedenken nicht ausgeräumt werden konnten. „Macht korrumpiert“, erklärt dey. Kompromisse veränderten die Menschen. Nur öffentlicher Druck habe in der Vergangenheit immer wieder zu gesellschaftlichen Veränderungen geführt, durch Platzbesetzungen der Anti-AKW-Bewegung, militante Aktionen der Suffragetten und Aktionen Zivilen Ungehorsams der schwarzen Bürgerrechtsbewegungen. Block Neurath habe genau die Richtigen getroffen. „Wir brauchen den sofortigen Kohleausstieg. Klimagerechtigkeit und der notwendige gesellschaftliche Wandel müssen durch öffentlichen Druck, Proteste und direkte Aktionen erkämpft werden.“ Durch die Blockade des Kraftwerks Neurath seien mehrere tausende Tonnen CO2 eingespart worden, die sonst den Klimawandel weiter angeheizt hätten. Die Aktion habe also den Schaden begrenzt, den die Kohleindustrie jeden Tag anrichte.

Transparente an der Hecke vorm Gericht, zB "Kohleausstieg bleibt Handarbeit" und "#BlockNeurath"Der erste Zeuge, ein Wasserwerfersonderwagenfahrer der Wuppertaler Polizei, kann zur Aufklärung nichts beitragen, muss selbst die Richterin nach der Vernehmung einräumen und fragt sich, warum der Zeuge überhaupt benannt worden sei. Er habe selbst an den Menschen nicht gearbeitet, sagt der Polizist. Unter dem Gelächter im Saal erzählt er, sie waren zu sechst, er, sein Chef und vier die gearbeitet haben. Er habe auf Anweisung und Zuruf des Chefs der Technischen Einheit das Geschehen protokolliert. Widerstandshandlungen seien ihm nicht aufgefallen. Die Verteidigung resümiert, der Zeuge sei völlig ungeeignet.

Der zweite Polizeizeuge, Beamter der Bereitschaftspolizei Recklinghausen, die für die Sicherung der Technischen Einheit zuständig war, konnte sich immerhin daran erinnern, dass eine Person bei der Lösung aus dem Lock-On verletzt wurde und Sanitäter vor Ort waren. Er habe Banner wahrgenommen. Auf die Frage der Verteidigung, welche Gefahren die Sicherung der Technischen Einheit notwendig gemacht hätten, antwortet er vielsagend: „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.“

Die dritte Polizeizeugin war ebenfalls mit der Dokumentation des Einsatzes betraut. Sie hatte im Polizeiauto gesessen und vom Geschehen auf den Gleisen selbst nichts mitgekriegt. Also ebenfalls keine belastenden Aussagen gegen die beschuldigte Person.
Die Stimmung entsprechend gelöst. „Die färben sich im Sitzungssaal die Haare!“, empört sich ein Justizwachtmeister, der die ganze Zeit zwei Zuschauer*innen beäugt. Den beiden Personen wird das Haarfärbemittel entwendet und die Vernehmung der Zeugin geht weiter. Auf Vorhalt der Verteidigung, stammelt die Zeugin, sie wüsste auch nicht mehr, warum sie ihren Vermerk so erstellt habe. Die von ihr unterzeichnete Gefahrenprognose sei wirr, widersprüchlich und bewerte das angebliche Verhalten der Beschuldigten ohne jede Sachkenntnis, heißt es in der Stellungnahme der Verteidigung zu dem Vermerk der Beamtin, die vorgab, die Polizei habe sehr professionell gehandelt.

Der vierte Zeuge, Hr S. ist inzwischen in Rente und war zum Zeitpunkt der Blockade Produktionsleiter der Blöcke im Kraftwerk Neurath. Am Mittag sei entschieden worden, vier Blöcke in Schwachlast und gegen 18 Uhr Block D herunterzufahren, weil nicht abzusehen gewesen sei, wann das Kraftwerk über die Gleise wieder mit Kohle beliefert werden würde. Weil im Internet Aktionen angekündigt worden seien (im Zusammenhang mit der parallel stattfindenden UN-Klimakonferenz COP), wären die Kohlenbunker vorsorglich gefüllt worden. Außerdem sei deshalb bereits ein Krisenstab einberufen worden. Wie lange die eingelagerte Kohle noch gereicht hätte, damit der Betrieb des Kraftwerks während der Blockade nicht gefährdet werde, will er nicht beantworten. Die Vorsitzende springt ihm bei und lehnt die Frage der Verteidigung als unzulässig ab. Das sei Betriebsgeheimnis und für die Planung zukünftiger Aktionen bestimmt relevant, erklärt der RWE-Rentner mit Blick auf das Publikum. Nur er weiß, worauf er da anspielt. Nach zehn Minuten Unterbrechung werden zwei Besucher*innen wegen des Werfens von Konfetti aus dem Saal geschliffen.

Menschen stehen dichtgedrängt unter dem imposanten Gerichtsvordach zusammenNun tritt der fünfte Zeuge auf. Herr A. arbeitet bei einer RWE-Tochter, die für den Konzern den Strom an der Börse verkauft und ist mit der Ermittlung der Schadenssumme betraut. Er beziffert den Schaden durch die Blockade auf rund 1,4 Mio. Euro. Der Strom, der am Tag der Blockade erzeugt werden sollte, sei am Vortag verkauft worden. Es bestünden Lieferverträge, die erfüllt werden mussten. Die Ersatzbeschaffungskosten plus die Kosten für das Hochfahren der Blöcke würden den Schaden ausmachen, erklärt er. Davon abgezogen würden die Einsparungen durch die nicht verbrannte Kohle und die einbehaltenen C02-Zertifikate. Summa summarum sei durch die Blockade nicht eine Tonne CO2 eingespart worden, weil der Strom während der Blockade von anderen Kraftwerken produziert worden sei, und das ganz sicher nicht von Windkraftanlagen, so der Märchenonkel der RWE, erläutert er dem Gericht und dem staunenden Publikum die Logik der Essener Konzernzentrale. „Warum schaltet die RWE die Windräder ständig ab, obwohl uns der Wind um die Ohren fegt?“, fragt eine empörte Zuschauerin den Märchenonkel von der RWE. „Das ist hier keine politische Veranstaltung“, empört sich die Vorsitzende und weist die Zuschauerin zurecht…. Nun ist die Verteidigung am Zug und stellt dem Rechenkünstler unangenehme Fragen, nämlich nach den Belegen für das vorgetragene Zahlenwerk, mit dem der angebliche Schaden von 1,4 Millionen hergeleitet wird. „Wo sind die Lieferverträge, von denen Sie sprechen hakt die Verteidigerin nach und erntet nichts als Achselzucken bei dem verunsicherten Zeugen. Selbst die Richterin meint irgendwann, dass das wohl die Schadensberechnung von RWE sei und nicht eine, wie sie im Zivilrecht stattfände.

Am Ende wird entschieden, dass weitere Zeugen gehört werden sollen, da die bisherigen nicht genug zur Aufklärung beitragen konnten.

Der Prozess soll am 17. November um 11 Uhr und am 24. Nov. um 11:30 Uhr fortgeführt werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert