Erster Prozesstag
Am 22.01. und 05.02.2025 stand der „Mönch von Lützerath“ vor dem Amtsgericht Erkelenz. Der Vorwurf gegen L.: Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen (das aus dem Video berühmte Schubsen sowie ein gestelltes Bein), in einem Fall mit Körperverletzung.
Vorgeschichte: Die Bild veröffentlichte Anfang 2024 einen Artikel, laut dem L. (unter Nennung seiner persönlichen Daten!) als „Mönch von Lützerath“ identifiziert sei. Daraufhin wagte L. die Flucht nach vorne und erzählte dies in einem Interview mit dem Stern. Später erfuhr er, dass ohne das Interview das Verfahren gegen ihn eingestellt worden wäre. Im Prozess bleibt die Frage offen, wie diese sensiblen Informationen aus den Ermittlungen an die Bild gelangt waren.
Am ersten Prozesstag hatte der Angeklagte L. ein langes Statement vorgetragen:
https://luetzerathlebt.info/gerichtsprozess-moench-von-luetzerath-einlassungstext/
Richter Floeth: „Kann ich das als Geständnis werten?“ – „Ja.“
Danach schien der Richter schon bereit zu sein, ein Urteil zu sprechen. Die Verteidigung beantragte jedoch, die angeblich verletzten Polizisten zu hören, da keinerlei Beweis für eine Verletzung vorlag.
Zweiter Prozesstag – Beweisaufnahme
Der zweite Prozesstag fand „wegen des erheblichen Interesses der Öffentlichkeit“ in einem größeren Saal am Landgericht Mönchengladbach statt. Es wurden drei Polizeibeamt*innen in den Zeugenstand berufen. Sie alle sagten aus, dass sie ihren Dienst an dem Tag fortsetzen konnten. Nur einer von ihnen berichtete von „Schmerzen in der Schulter“ und von „kleinen Hämatomen“, die er am Abend (nach einem ganzen Tag turbulenter Demonstration) entdeckte. (Diese Informationen sind hier leider nur aus zweiter Hand. Die Einlasskontrollen am Landgericht Mönchengladbach waren mal wieder so over the top, dass erst 90 Min nach Prozessbeginn alle Zuschauenden im Saal waren. Auf dem Weg vom ersten Mal abtasten am Eingang einen Stock hoch
zum Gerichtssaal kann ja so einiges passieren, da ist ein zweites Mal Abtasten um den Saal zu betreten schon wichtig!)
(Zwischendrin war die vom Gericht gestellte Übersetzung so unzureichend, dass L. nicht folgen konnte. Die Verteidigung musste dafür kämpfen, eine solidarische Person zur Übersetzung einsetzen zu dürfen.)
In seinem Statement hatte L. deutlich erklärt, dass das Beinstellen eine spontane Aktion war, nachdem er beobachtet hatte wie die Polizei wieder und wieder auf Menschen einprügelte. L. wollte das stoppen, um Menschen vor der Polizeigewalt zu schützen.
Um diese Polizeigewalt zu belegen, ließ die Verteidigung zum einen einen Zeugen der Gruppe „Kirche im Dorf lassen“ aussagen. Zum anderen ließ sie ein Video zeigen, in dem der Mönch auf der Demonstration von einem Polizisten frontal ins Gesicht geschlagen wird. L. erklärt dazu: „Ich wollte filmen, wie die Polizei andere Menschen geschlagen hat und bin näher drangegangen und habe gerufen „Hey! Stopp!“, dann hat der Polizist mir auf den Kopf geschlagen.“
Anschließend beantragt die Verteidigung die Anhörung eines Klima-Sachverständigen. Denn das Ziel der Demonstration sei gewesen, auf das Brechen des Pariser Klimaabkommens und die Auswirkungen der Klimakrise hinzuweisen. Dieser Antrag wird vom Richter abgelehnt mit der Begründung „Wahrunterstellung“ und die Beweisaufnahme geschlossen.
Abschlussplädoyers
Die Staatsanwaltschaft sieht alle Vorwürfe erfüllt. Zwar hätte offensichtlich für beide Seiten eine „Ausnahmesituation“ vorgelegen, trotzdem fordert sie unter Berücksichtigung von sowohl Geständnis als auch Vorstrafen insgesamt 8 Monate Haft ohne Bewährung.
Die Verteidigung:
• Der Vorwurf des „tätlichen Angriffs“ ist sehr weit gefasst, im Prinzip kann alles als tätlicher Angriff ausgelegt werden. Dazu passt nicht, dass das Strafmaß eine Mindeststrafe von 3 Monaten Haft (maximal 5 Jahre) vorsieht. Dementsprechend muss die Tat eine gewisse „Erheblichkeitsschwelle“ überschreiten, um als tätlicher Angriff gewertet zu werden. Dies ist in den verhandelten Fällen nicht gegeben.
• Auch die Körpeverletzung ist nicht gegeben, da alle Beamten ihren Dienst weiter verrichten konnten.
• Auch nach internationaler Rechtssprchung in Beug auf die europäische Konvention der Menschenrechte wäre eine Verurteilung in dieser Sachlage unverhältnismäßig.
→ Forderung deshalb: Freispruch
L.: „So wie sich alle gefragt haben, ob Elon Musk einen Hitlergruß gemacht hat, frage ich mich langsam, ob ich wirklich einen Polizisten geschubst habe. (…) Ich finde, ich kann nicht verurteilt werden, wenn man weiß, dass das Video viele Menschen zum Lachen gebracht hat. (…)
Nicht ich bin ein Wiederholungstäter von G20, sondern der Staat mit seiner Zerstörung und Gewalt. (…)
Bei der Demonstration wollten die Menschen durch die Polizeikette gelangen. In meinem Statement habe ich eine Geste vorgeschlagen, um das in Zukunft gewaltfrei möglich zu machen: Alle, die bereit und entschlossen sind, die Polizeikette zu durchfließen, überkreuzen ihre Arme über dem Kopf.
Da weder die Medien noch die Staatsanwaltschaft darauf eingegangen sind, störe ich damit anscheinend. (Zur Staatsanwaltschaft) Ich habe noch nie erlebt, dass sich die
Staatsanwaltschaft so kurz fasst. Ich habe mich auf 9 Seiten erklärt. Wenn Sie mich 8
Monate ins Gefängnis schicken, dann antworten Sie mir bitte vorher auf 9 Seiten, damit ich im Gefängnis darüber nachdenken kann, was ich falsch gemacht haben soll.“
Urteil
Nach kurzer Pause verkündete der Richter das Urteil: 140 Tagessätze à 30 € + Verfahrenskosten. Dabei rechnete er das Geständnis hoch an, es sei seiner Ansicht nach „ohne Not“ gekommen, da keine Beweise vorlagen. Er sagte, auch das Interview im Stern-Artikel hätte daran nichts geändert und zählt Beispiele von prominenten Straftaten auf, nach denen bis zu 130 Menschen behaupteten, sie begangen zu haben. Deshalb hätte es ohne das Geständnis im ersten Prozesstermin einen Freispruch gegeben.
Der Richter führt weiter aus: Die Polizeiaufgabe, die Demonstrierenden von Lützerath fernzuhalten, war nicht durchführbar im Hinblick auf das Verhältnis von Polizisten zu Demonstranten. Demnach war klar, dass es zu „unschönen Bildern“ kommen würde. Und im Internet gäbe es noch wesentlich heftigere Aufzeichnungen der Polizeigewalt, als hier im Prozess gezeigt worden seien. Diese Vorfälle aufzuarbeiten, sei jedoch nicht Aufgabe dieses Verfahrens.
Genausowenig wie die Untersuchung der Klimakrise, die ohne Zweifel bestehe – „den Antrag hätte ich im Übrigen auch mit dem Grund der „Offenkundigkeit“ zurückweisen können“. Dass tätlicher Angriff in zwei Fällen und Körperverletzung („wir haben gehört, dass die Schulter wehgetan hat“) vorliegen, sieht Floeth als bestätigt an. Er stimmt der Verteidigung zu, gegen das Mindeststrafmaß beim tätlichen Angriff „kann man Bedenken gegen haben“. Aber Gesetz ist Gesetz und deswegen kann er da nicht drunter gehen. Allerdings müssten die besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls beachtet werden:
• Geständig (ohne die Not dazu)
• „niemand wurde verletzt – wurde ernsthaft verletzt“
• kein Ausdruck hoher krimineller Energie erkennbar
• Vorstrafe liegt 7,5 Jahre zurück, seitdem nichts mehr vorgefallen
Deswegen kommt für ihn keine Gefägnisstrafe über 6 Monate in Frage. Und bei Gefängnisstrafen unter 6 Monaten ist das Gericht angehalten, stattdessen eine Geldstrafe zu verhängen – insofern erstere nicht „unerlässlich“ ist (§47 StGB).