Der zweite Prozesstag unter dem Motto „Gerichte sind zum Essen da“ startet damit, dass die Cops nochmal wegen den Messern Stress machen, bevor die Küfacrew überhaupt angefangen hat zu schnibbeln. Auflage war auf einmal, das als Besteck (und auch zum Schneiden des Gemüses) nun nur noch Plastikmesser erlaubt sein sollen. Am Ende ist das Gemüse auf zauberhafteweise dann doch geschnitten…
Derweil drinnen im Gerichtsaal: Die Verteidigerin der Angeklagten beantragt, als Pflichtverteidigerin beigeordnet zu werden, was die Staatsanwältin nicht für notwendig erachtet und auch die Richterin weist dann nach einer kurzen Bedenkpause den Antrag zurück, was nicht verwunderlich ist. Verwunderlich ist allerdings die Begründung: Eine Pflichtverteidigung sei nicht notwendig, denn „es handle sich ja hier nicht um eine große Sache“ und auch die Rechtsfolgen seien nicht schwerwiegend. Okay, 9 Monate Haft sollen nicht schwerwiegend sein? Die Zuschauer*innen sind hörbar empört. (Tatsächlich sieht die bisherige Rechtsprechung zu Pflichtverteidigung die Strafen erst ab schwerwiegend an, wenn sie mehr als ein Jahr betragen – was angesichts der zerstörerischen Wirkung von Haftstrafen einiges über die Justiz aussagt – und vermutlich auch gegen europäisches Recht verstößt.)
Dann beginnt die Vernehmung des ersten und einzigen Zeugens dieses Verhandlungstags. Der Zeuge war am 5.11. 2021 Betriebsleiter im Kraftwerk Neurath. Mittlerweile ist er zwar pensioniert, RWE aber dennoch sehr verbunden, wie sich im Laufe der Befragung zeigen wird.
Der Zeuge gibt als Einstieg einen kurzen Abriss über den Verlauf der Dinge aus seiner Sicht am 5.November. Für Frau Dr. reicht dieser nicht mal 2- minütige Überblick, um die Sachlage zu verstehen. Sie hat keine weiteren Fragen und gibt das Wort an die Verteidigung. Dieses Desinteresse beweist einmal mehr: Die Richterin zieht ihre Erkenntnisse aus vorherigen Verfahren hat und das Urteil steht eh schon fest. Doch als die Verteidigung sie dazu „nötigt“, stellt sie dann doch noch der Form halber ein paar Fragen.
Obwohl der Betriebsleiter schon um 5.30 Uhr zu Hause über die „Störung“ informiert wurde, verläuft sein Tag entspannt, nach dem er um 12 Uhr das Kraftwerk gedrosselt hat, da die Polizei nicht räumt und ihm nicht ganz klar war was auf den Gleisen da so ab ging, macht er erst mal 6 Stunden nichts, außer vielleicht ab und an zu telefonieren – „es war ein relaxter Nachmittag“. Gegen 18 Uhr sagte ihm dann seine Intuition, dass es doch nun mal an der Zeit sei nachzufragen wie es auf den Gleisen und somit mit der Kohlezufuhr zum Kraftwerk aussähe. Dort hieß es bei der Kohleleitstelle, die Situation sein unverändert, zwar wären nun Polizist*innen vor Ort aber es sei nicht erkennbar, dass diese räumen. Das diese Info falsch ist, weiß er nicht, also beschließt er den Block D runterzufahren und dass obwohl die Kohle (da RWE aus Presse erfahren hatte, das Aktionen geplant waren, war der Kohlebunker zum Anschlag vollgefüllt) im Bunker noch bis Mitternacht unter Volllast und bis morgens um 8 Uhr des Folgetages unter Schwachlast gereicht hätte. Diese Fehlinformation kostete RWE 170.000 Euro – die Startkosten um den Block D wieder hochzufahren.
Im Lauf der Vernehmung stellt sich außerdem heraus, dass die Aktion BlockNeurath die einzige wirkliche Störung in diesem Jahr 2021 war, alle weiteren 5999 Störungen können der unteren Kategorie zugerechnet werden und waren Ausfälle von Glühbirnen etc. Weitere Informationen dazu gibt’s nicht, weil „die Personen im Gerichtssaal das zur Optimierung ihrer Aktionen nutzen könnten“. Letzteres ist die Hauptsorge des Zeugen über die nächsten 1,5 Stunden, was die Vernehmung einigermaßen zäh macht. Immer wieder verweigert er aus diesem Grund die Antwort auf Fragen, was die Richterin natürlich überhaupt nicht stört, denn „der Zeuge müsse hier keine Betriebsgeheimnisse von RWE preisgeben“.
Trotzdem finden wir heraus, dass es wohl eine Checkliste für Störungen durch Aktivisti gibt die verschiedene Maßnahmen beinhaltet. Welche Maßnahmen im Vorfeld von BlockNeurath ergreifen worden sind, will er erst aus Sicherheitsgründen nicht sagen.
RWE wusste nicht, was sie an diesem Tag erwarten würde und rechnete mit allem: Blockade der Schienen, Besetzung des Kraftwerks, aber auch Sprengung von Strommasten (Es gibt also noch einiges zu tun😉). Später stellt sich heraus, dass zu den Maßnahmen, das Befüllen des Kohlebunkers, die Sicherung des Kraftwerkszauns und die Aufstockung von für die Wasseraufbereitung benötigten Chemikalien gehören. Ob Beobachtungstrupps, die Schienen oder Strommasten kontrollieren, ausgesandt werden oder auch welche Maßnahmen auf den Gleisen im Kraftwerk ergriffen wurden, will der Zeuge nicht offenlegen.
Die Frage der Angeklagten nach dem CO2 Ausstoß des Kraftwerks kann der Zeuge nicht beantworten, die Folgen davon sind ihm zwar bekannt, jedoch auch egal. So betreffen sie doch nur Menschen im globalen Süden – dass er hierbei von der Klage des peruanischen Bauern Saúl Luciano Lliuya gegen RWE schon mal gehört hat, ist erstaunlich. Ob es ihm genauso egal wäre, wenn z.B. seine Enkelkinder in derselben Art und Weise von den Folgen der Klimakatastrophe betroffen wären, bleibt offen, die Richterin erklärt diese Frage für unzulässig.
In der Stellungnahme der Verteidigung zur Vernehmung des Zeugen macht die Angeklagte klar, dass die Blockade gezeigt hat, dass das Kraftwerk Neurath für die Stromversorgung nicht notwendig ist. Sein Betrieb dient nicht der öffentlichen Versorgung, sondern ausschließlich der Geschäftsinteressen von RWE.
Zudem gehört der Straftatbestand Störung öffentlicher Betriebe abgeschafft: Der Paragraf 316 b StGB ist ein Staatsschutzparagraf aus der Zeit des Nationalsozialismus, wurde von den Alliierten bewusst außer Kraft gesetzt und während des Kalten Krieg in den 1950er Jahren wieder eingeführt.
Und schließlich sei es nicht notwendig gewesen den Block D um 18 Uhr herunterzufahren. Falls dadurch überhaupt ein Schaden im Rahmen einer Gewinnminimierung für RWE entstanden ist, so ist dieser durch ggf. bewusste Entscheidungen der Kraftwerksleitung entstanden. Somit liegt nahe, dass RWE offenbar ein Interesse hatte den Schaden wissentlich in die Höhe zu treiben, um durch spätere Schadensersatzforderungen oder auch nur die Androhung dessen Aktivist*innen abzuschrecken.
Das Theater im Gerichtssaal endet mit der Festlegung des nächsten Verhandlungstermins. Hier entscheidet sich die Richterin für genau den Termin an dem keine*r der beiden Verteidiger*innen anwesend sein können, mit der Begründung, die angeklagte Person könne sich ja selbst verteidigen. Verteidigung stört ja aus der Sicht von Richterin Zieschang eh nur.
Diese Unverschämtheit seitens der Richterin löst natürlich Protest bei den Zuschauenden aus und so kommen die Justizwachteln doch schließlich noch dazu worauf zumindest einige die ganze Verhandlung über gewartet haben: mehrere der unliebsamen Besucher*innen unter Anwendung von körperlicher Gewalt aus dem Saal herauszuschmeißen.
Und pünktlich zum Prozessende ist dann draußen vor dem Gerichtsgebäude auch die Suppe fertig: Ein lange Tafel wird aufgebaut, die Sonne scheint und so endete der Tag dann noch sehr schön, mit einem gemeinsamen Essen zusammen mit vielen solidarischen Menschen, leckerer Suppe, Kaffee und Kuchen. Nur die Bullen, die pünktlich zum Beginn des Essens von der Wache auf der anderen Straßenseite rüberkommen, störten etwas. Weiter geht’s a, 19.2., 11 Uhr mit der Vernehmung von drei Cops. Kommt vorbei! Egal ob draußen bei der Mahnwache oder drinnen im Gerichtssaal, der Besuch des Amtsgerichts in Grevenbroich ist immer ein Erlebnis wert 😊