Prozessbericht 17.11.2023. Der heutige Verhandlungstag begann wie so oft mit dem Aufbau der Mahnwache vor dem Landgericht Mönchengladbach. Die Mahnwache stand unter dem Motto „How to block a Kohlekraftwerk“. Dort wurden verschiedene Blockademittel gezeigt und wie sie bei Block Neurath verwendet wurden. Angemeldet war unter anderem ein Tripod (dreibeiniges Gestell zum reinklettern) – Auflage war, dass er höchstens drei Meter hoch sei. Nach einiger mathematischer Fachsimpelei mit den Bullen über die Berechnung der Höhe des Tripods, begaben sich die ersten Menschen ins Gerichtsgebäude, was aufgrund äußerst umfangreicher und intensiver Kontrollen sehr lange dauerte, sodass auch die angeklagte Person mit einiger Verspätung in den Gerichtssaal kam.
Nach der Belehrung der Zeug*innen wurde die Verhandlung auf Verlangen der Verteidigung für weitere zehn Minuten unterbrochen, um die Öffentlichkeit herstellen zu können. Dass dieser Vorgang aufgrund der Kontrollen nach dieser Pause noch nicht vollständig abgeschlossen war, war der vorsitzenden Richterin dann aber doch egal, denn sie setzte die Verhandlung fort. Aus gegebenem Anlass wurde zunächst ein Antrag zur Verweisung von potenziell anwesenden Zivilbeamten aus dem Gerichtssaal beantragt. Währenddessen entstand zunächst zwischen dem Publikum und den Justizwachteln eine Debatte über eine vermeintlich gesichtete Tube und deren Inhalt, in die sich die vorsitzende Richterin einmischte und damit die angeklagte Person unterbrach. Die Tube wurde des Saales verwiesen; die Person mit der Tube nahm zuerst noch ein bisschen von dem Inhalt in den Mund und begann dann, sich die Zähne zu putzen, was offenbar auch nicht erwünscht war, denn dafür sollte die Person ebenfalls des Saales verwiesen werden. Die Person ging dann zum Zähneputzen raus und kam später zurück.
Daraufhin konnte die angeklagte Person ihren Antrag fortsetzen. Es war nur eine begründete Vermutung, dass Zivilpolizist*innen anwesend seien, doch die vorsitzende Richterin fragte ins Publikum, ob dort welche anwesend seien, worauf sich die beiden Verdächtigten meldeten. Zum Beschluss über den Antrag kam es dann gar nicht, weil die beiden Zivilpolizist*innen, die behaupteten privat dort zu sein, vorher freiwillig den Saal verließen, weil sie nicht wollten, dass sich andere ihretwegen unwohl fühlten oder sie die Verhandlung stören. Wie rührend.
Es folgte eine Stellungnahme zum letzten vernommenen Zeugen, dem Zahlennerd von RWE, der die Schadenshöhe ausgerechnet haben will, in der die angeklagte Person betonte, dass die Unterlagen zur Schadensberechnung unvollständig seien, der Zeuge in einer anderen Vernehmung angegeben hatte, innerhalb des Konzerns Absprachen zu dem Sachverhalt getroffen zu haben und insbesondere, dass der bei RWE entstandene Schaden nur ein ganz kleiner Teil der insgesamt durch die Aktion verursachten Schäden sei. Dazu führte sie ein Gutachten von einem Wissenschaftler aus Flensburg an, der sich mit der Ökonomie der Transformation von Energiesystemen befasst und zu einem ähnlichen Fall ein Gutachten geschrieben hat, das den gesamtgesellschaftlichen Schaden, den bei RWE eingeschlossen, im negativen Bereich sieht, was bedeutet, dass etwas positives entstanden sein muss. In dem Gutachten wird der negative volkswirtschaftliche Schaden mit den mittel- und langfristigen Folgen des Ausstoßes von CO2 begründet, die in einer Schadensberechnung ebenso berücksichtigt werden müssten und insgesamt teurer seien als das, was RWE an Einnahmen erzielt. Im Umkehrschluss führte die Blockade zu einem größeren volkswirtschaftlichen Nutzen als sie privatwirtschaftlichen Schaden anrichtete.
Nach dieser Stellungnahme wurde der erste Zeuge vernommen: ein weiterer Beamter von der Technischen Einsatzeinheit. Dessen Befragung war sehr kurz, denn er konnte sich an nichts mehr erinnern. Angekettete Menschen löse er ständig, das ganze sei lange her, da könne er sich an Einzelheiten wahrlich nicht mehr erinnern. Auf Fotos konnte er sich erkennen, aber die Erinnerung kam davon auch nicht zurück.
Die nächste Zeugin, eine Polizeibeamtin von der Recklinghausener Bereitschaftspolizei-Hundertschaft, die ebenfalls vor Ort war, konnte auch nichts Sinnvolles beitragen, sie habe die ganze Zeit im Auto gesessen und protokolliert. Daher habe sie vom eigentlichen Geschehen nichts selbst gesehen, sondern nur aufgeschrieben, was ihr zugetragen wurde.
Der dritte Zeuge hatte immerhin ein bisschen was gesehen und war Teil des Suchtrupps von der RWE-Bahn gewesen, der die verschiedenen Blockaden nach und nach entdeckt hat. Er wusste, dass der Bahnverkehr zwischen Hambach und Niederaußem als Vorsichtsmaßnahme eingestellt wurde, weil Personen in der Nähe der Gleise gesehen worden waren. Die Gleisbesetzung war also wohl nicht der Grund für die Gleissperrung. Auch er konnte allerdings keine Einzelheiten zur Ankettvorrichtung nennen oder weitere Zeug*innen benennen, schickte allerdings einige Handy-Fotos der Aktion an die Richterin, die daraufhin ihr Mail-Postfach auf dem großen Bildschirm präsentierte – ohne dass diese jedoch besonders viel darauf erkennen konnte.
So blieb dieser Verhandlungstag einigermaßen erkenntnislos. Da absehbar war, dass es mit dem schon angesetzten weiteren Verhandlungstag am 24.11.2023 um 11:30 Uhr nicht zu einem Urteil kommen wird, wurden weitere Fortsetzungstermine auf den 14. und 18.12.2023, jeweils um 09:30 Uhr, festgelegt, weitere zu ladende Zeug*innen bestimmt und die Hauptverhandlung für diesen Tag geschlossen.