Block Neurath: Cops ohne Erinnerung

Vor einem Gebäude steckt in einer Hecke eine Fahne mit einer roten Sonne vor einem Baggerrad, drauf steht "gegen Kohle und Atom".Der zweite Prozesstag der Berufungsverhandlung gegen eine weitere wegen BlockNeurath angeklagte Person begann mit einer Stellungnahme der Verteidigung zum Zeugen A. – ihr erinnert euch – der Rechenkünstler von RWE, der die Berechnung des angeblichen Schadens für RWE gemacht hat. Daran ist jedoch vieles mehr als fraglich: Der Zeuge war ganz klar von Konzerninteressen beeinflusst und somit nicht unabhängig: So konnte bzw. wollte er weder den Schaden mit tatsächlichen Verträgen oder Belegen beweisen noch etwas zum Gewinn an dem besagten Tag sagen. Wahrscheinlich wollte er eher nichts dazu sagen, bzw. hatte in einem Vorabbriefing mit der RWE- Rechtsabteilung die Anweisung bekommen nichts dazu zu sagen. Unsere Meinung zur Kosten- Nutzenbilanz: Die kehrt sich um, wenn mensch die Schäden für die gesamte Gesellschaft, also beispielsweise Folgeschäden durch den Abbau und die Verstromung der Kohle mit einbezieht, was sich auch durch die Ladung von einem unabhängigen Sachverständigen wie Prof. Dr. Pao-Yu Oei beweisen ließe. Er hatte für ein ähnlich gelagertes Verfahren schonmal ein Gutachten erstellt, das eben dies unter Beweis stellt.

Weiter ging es dann mit der Vernehmung von insgesamt 8 Cops, die in verschiedenen Rollen bei der Aktion irgendwie anwesend waren: Das ging schneller als gedacht, denn da die Blockade nun schon mehr als drei Jahre her ist, konnten sich die wenigsten noch an den Einsatz, geschweige denn irgendwelche Details, erinnern und das ist auch gut so! 🙂

Was in Erinnerung blieb, waren Menschen im E-Rollstuhl, deren Räumung die Cops vor echte Herausforderungen stellte und bleibenden Eindruck hinterließ.

Der erste Zeuge hat wohl irgendwie versucht die Versammlung auf den Schienen aufzulösen, da aber „alles so spontan war“ (sinngemäßes, nicht wörtliches Zitat) wurden einige elementare Dinge, die sich aus dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ergeben, vergessen – wie z.B. die Versammlung dann auch wirklich aufzulösen und dies nicht bloß anzukündigen. Daher hat die Polizei die Versammlung schlicht und einfach gesprengt.

Verschiedeene Menschen auf Schienen sitzen im Kreis, eine Person im Rollstuhl ist dabei von hinten zu sehen. Personen reden miteinander. Im Hintergrund Bäume.Der nächste Zeuge, der Verantwortliche der Technischen Einsatz-Einheit (TEE) an diesem Tag, konnte sich bis auf die Rollifahrer*innen an nichts mehr erinnern. Er mutmaßte stattdessen über den Bau und die Lagerung der Lock-ons (vor Ort im Wald, mit Schnellbeton, unmittelbar vor der Aktion).

Die nächste Zeugin hatte dem Amtsgericht Grevenbroich schon in der ersten Instanz noch vor der Vernehmung schriftlich mitgeteilt, dass sie eigentlich nichts zum Sachverhalt sagen kann. Trotzdem wurde sie sowohl dort als auch nun am Landgericht geladen: Ihre Erinnerung basierte auf dem Polizeibericht, den sie sich nochmal durchgelesen hatte. Er basierte auf dem was sie schon in Grevenbroich erzählte: sie brachte zusammen mit einem Kollegen die einzelnen Aktivisti nach der Räumung zum Transporter, wo sie anschließend durchsucht wurden.

Die nächste Zeugin war die meiste Zeit gar nicht auf den Gleisen, sondern saß im Bulli. Dort erstellte sie im Rückgriff auf Infos ihrer Kolleg*innen einen Bericht zum Sachverhalt inklusive einer Gefahrenprognose. Auf Grundlage dieser Prognose wurde gerechtfertigt, die angeketteten Personen für 7 Tage in Polizeizellen einzusperren. Diesen Bericht hat sie auf ihrem persönlichen Laufwerk einfach mal abgespeichert und vor der Vernehmung auch nochmal gelesen. Dementsprechend waren ihre Antworten fast wörtliche Zitate von dem, was sie geschrieben hatte.

Entgegen den Aussagen der Zeugin deutet viel daraufhin, dass es für die Anfertigung dieser Prognose vorgefertigte Standardformulierungen gibt, die dann – natürlich „ganz individuell“ – angepasst werden. Bei der Bestimmung der „Gefährlichkeit“ der Personen spielten wohl die Vorbereitungshandlungen, die Kleidung der Personen und die mitgeführten Gegenstände während der Aktion eine Schlüsselrolle. Aus letzteren wurden Schlussfolgerungen für unmittelbare weitere Aktionen nach der Räumung gezogen – und das obwohl bislang niemand erlebt hat, dass sich Personen nach der Räumung direkt an einer anderen Stelle wieder anketten. Und nicht zu vergessen die „kriminelle Energie“ der Aktivist*innen – worum es sich bei letzterem genau handelt, konnte die Zeugin allerdings selbst nicht sagen. Umso krasser, dass diese Mutmaßungen reichen, Menschen ohne Grund einfach mal so für sieben Tage einzuschließen.

Zwei Menschen sitzen unter einem Pavillion am Tisch. Es sieht kalt aus.Der fünfte Zeuge, ebenfalls Teil der TEE und mittlerweile im Ruhestand erinnerte sich an wirklich gar nichts: Er hätte so viele Einsätze im Hambacher Forst (zu dem er auch auf Nachfrage die Schienen der Kohlebahn zählte), dass die in Erinnerung alle miteinander verschwimmen würden. Auf einem der Fotos erkannte er sich dann an seinen knallorangenen Handschuhen und den Knieschützern. Er meinte daraufhin, dass er dann demnach wohl vor Ort gewesen sein muss.

Die nächste Zeugin, auch TEE, konnte sich noch an die Räumung erinnern. Er beschrieb wie sie mit verschiedenen Werkzeugen die Personen aus der mit Beton und Metallschrott gefüllten Tonne herausgemeißelt hätten. Die Tonne zusammen mit den Personen von den Gleisen wegzutragen, wäre keine Option gewesen, weil zu schwer und zu risikoreich. Die sogenannte „Lösung“ sei risikoarm und da die Bullen ja immer sorgfältig vorgehen würden, käme es auch nie zu Verletzungen. Dass das Quatsch und gelogen ist, wissen wir von einer weiteren angeklagten Person, die während der Räumung an einem anderen Blockadepunkt sehr wohl verletzt wurde und über Stunden keine medizinische Versorgung erhielt.

Zwei Transparente an einer Hecke vorm GerichtZum Schluss der Vernehmung sagten noch zwei Zeugen aus, die für die Dokumentation der Aktion von Polizeiseite verantwortlich waren, der eine für Videoaufnahmen der andere für Fotos. Während der eine sich noch an Details erinnerte – z.B. dass sich der Stromanhänger im Matsch festgefahren hatte -, wusste der andere gar nichts mehr. Auch als die Richterin versuchte, ihm durch den Vorhalt der Fotos auf die Sprünge zu helfen, konnte er lediglich beschreiben was auf den Fotos zu sehen war.

Nach der Zeug*innenvernehmung versuchte die Richterin die vermeintliche Identifizierung der Angeklagten zum Gegenstand der Verhandlung zu machen. Sie begann die nach der Öffentlichkeitsfahndung eingegangenen Hinweise der Denunziant*innen vorzulesen, was jedoch von der Anwältin unterbunden wurde.

Gerne hätten wir Frau W. aus der RWE-Rechtsabteilung eine weitere Zeugin geladen. Dieser Antrag nötigte sogar die sonst eher teilnahmslose Staatsanwältin zu einer energisch- ablehnenden Stellungnahme, woraufhin auch die Kammer – wen wundert´s – den Antrag ablehnte.

Und somit ging zwar die Beweisaufnahme des Gerichts zu Ende, aber nicht die der Verteidigung. Während der folgenden Prozesstage (und ein bisschen wurde an diesem Tag schon angefangen) werden wir mit zahlreichen Beweisanträgen zeigen, warum die Blockade der Kohlezufuhr zum Kraftwerk Neurath durch einen nach § 34 StGB bestehenden Notstand gerechtfertigt und notwendig war. Außerdem werden wir nachweisen, dass keine Störung öffentlicher Betriebe vorlag.

Ein Pavillioin wird abgebaut.Und wenn ihr mehr darüber erfahren wollt, warum, weshalb und überhaupt, dann kommt am 17. und am 20.12. jeweils 9:15 Uhr zum Landgericht Mönchengladbach. An beiden Tagen wird es auch wieder eine Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude geben.

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