Das Amtsgericht Kerpen verurteilt Klimaaktivist*innen, die nach der Räumung von Lützerath im Januar 2023 im Braunkohletagebau Hambach einen Bagger besetzt haben sollen zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen á 15 Euro wegen Hausfriedensbruchs.
Bevor die Verhandlung um 9:30 Uhr beginnt, lässt Richter Witzel eine queerfeministische Fahne von der Bank der Angeklagten Person entfernen. „Wir sind doch hier nicht im Stadion“, so Witzel. Einen Beschluss darüber in der Hauptverhandlung lehnt er ab.
Dem Publikum gibt er bei Beginn mit auf den Weg, von Beifallsbekundungen abzusehen. Ansonsten würde er den Saal räumen lassen.
Die beiden Laienverteidigungen lässt er als Wahlverteidigungen zu, unter dem Vorbehalt, „dass sie eine ordnungsgemäße Verhandlung nicht stören.“
Den Antrag, eine weitere Wahlverteidigung zuzulassen kommentiert Witzel mit der Bemerkung, „dann könnte er ja auch drei Kolleginnen mitbringen.“ Dem steht aber letztendlich doch nichts entgegen und auch die dritte Wahlverteidigung wird zugelassen.
Anklage: Den beiden Angeklagten wird vorgeworfen, in den Tagebau Hambach eingedrungen zu sein und einen Bagger besetzt zu haben.
Dann gibt Witzel den Angeklagten das Wort.
Die erste angeklagte Person beantragt zunächst die Verwendung geschlechtergerechter Sprache im Gerichtssaal. Der Richter blättert in den Akten und verzieht den Mund. Der Antrag wird zurückgewiesen, weil der Richter dazu nicht in der Lage sei. Er will sich aber „Mühe“ geben.
Die erste Angeklagte Person erklärt in der Einlassung knapp, Widerstand gegen die Zerstörungen durch die Verbrennung von Braunkohle sei notwendig. Es folgte Applaus im Publikum, woraufhin Richter Witzel „bat“ dieses zu unterlassen sonst müssten applaudierende Menschen den Saal verlassen.
Die zweite Angeklagte Person erklärt, dass viele von ihnen mit Lützerath Polizeigewalt, aber auch mit Zusammenhalt verbinden. In der ganzen Welt kämpfen Menschen gegen die Zerstörung des Globus durch den Kapitalismus. Daraufhin kein Applaus mehr, dafür Jubelrufe.
Die Einlassungen könne der Richter nachvollziehen, das tue aber nichts zur Sache. Schließlich gehe es hier um Hausfriedensbruch.
Nun ruft Witzel zunächst den ersten Zeugen auf. Herr Fabeck wird zunächst belehrt. Er ist Ingenieur und Abteilungsleiter Infrastruktur im Tagebau Hambach. Er behauptet, die Grube sei vollständig umfriedet durch Schilder, Schranken, Zäune und Erdwälle. Er bringt eine Karte mit, auf der die vollständige Umfriedung grafisch dargestellt sein soll, dazu einzelne Aufnahmen, deren Standort auf der Karte nummeriert ist. Er erläutert den Prozessbeteiligen die Situation im Tagebauvorfeld. Da sich die Grube kontinuierlich bewegt, seien die RWE Mitarbeitenden ständig damit beschäftigt, den Tagebau zu sichern.
Er war am 16.01.2023, dem Tag der Besetzung, nicht vor Ort. Er würde das Vorfeld aber regelmäßig abfahren. Sieben Mitarbeitende seien damit beschäftigt. Auf die Frage der Verteidigung, wie er sich vorbereitet hat, bestätigt er, dass er sich mit der Rechtsabteilung von RWE abgesprochen hat. Der Richter rügt die Frage, weil sie unterstelle, dass der Zeuge lügt. Dabei hätte der RWE Mann bereits eingangs erklärt, dass er wahrheitsgemäß aussagen werde.
Die vollständige Umfriedung sei sowohl im Bereich des Baggers, als auch auf der dem Bagger gegenüberliegenden Seite der Grube gegeben.
Dort seien ebenfalls Schilder und Schranken aufgestellt. Bei der nun folgenden Befragung stellt sich heraus, dass es doch einen Bereich von mehreren Kilometern gibt, wo Unbefugte in den Tagebau eindringen könnten, sie würden laut Zeuge dann aber immer wieder auf Schilder und Schranken stoßen. Es wurde von der Verteidigung darauf hingewiesen, dass in dem Bereich aber keine Schranken eingezeichnet sind. er Zeuge schweigt lang und bejaht das und verweist auf andere Orte, die aber kilometerweit entfernt sind. Ob unmittelbar nach der Besetzung die Umfriedungen kontrolliert und dokumentiert wurden, kann er nicht sagen. Der Zeuge wird entlassen.
Die Verteidigung stellt dazu einen Beweisantrag zum Beweis der Tatsache, dass der Tagebau frei zugänglich ist und an der in der Zeug*innenvernehmung diskutierten Stelle keine Befriedung vorhanden ist. Es könne somit der Behauptung von RWE über die vollständige Befriedung kein Glauben geschenkt werden. Dazu beantragen sie die Einführung und Inaugenscheinnahme von aktuellen Videoaufnahmen. Der Antrag wird zurückgewiesen, weil die Videos vom 6.4.2024 seien, knapp 13 Monate nach der Besetzung des Baggers. Die Videos will sich der Richter auch nicht einmal anschauen.
Nun tritt der Zeuge, Herr Musialek auf. Er ist Polizist, Zugführer der Bereitschaftspolizei Düsseldorf. Er sei gegen 9 Uhr am Tatort eingetroffen. Die Besetzer*innen seien später vom Höheninterventionsteam vom Bagger runter geholt worden. Sie seien mit 35 Beamten dort gewesen, später auch eine Duisburger Einheit. Zuerst seien Streifenpolizisten vor Ort gewesen. Dann seien zehn seiner Kollegen auf den Bagger geklettert. Da die Besetzer*innen sich geweigert hätten freiwillig herunter zu kommen, sei das Höheninterventionsteam hochgegangen und habe gegen 16 Uhr acht Personen runtergebracht. Weil sie Personalien verweigert haben, sei die Gewahrsamsnahme angeordnet worden. Auf die Frage, ob die Aktivist*innen Widerstand geleistet haben, sagt er, sie hätten sich bei der ersten Ansprache geweigert, und als das Höheninterventionsteam mehrere Stunden später gekommen ist, dann runtergekommen wären. Auf Nachfrage der Verteidigung, dass die Verweigerung des Verlassens so ja nicht in dem Bericht steht, sondern dass die Polizei gar nicht mit ihnen gesprochen hat, gab es ein langes Schweigen und der Zeuge stimmt dem zu und muss sich korrigieren. Der Zeuge wird entlassen.
Der nächste Zeuge Herr Hau ist Kriminalbeamter und wurde beauftragt, die Personalien der Personen in Gewahrsam festzustellen und mit ihnen zu sprechen. Er kann sich nicht hundertprozentig festlegen, ob er die Angeklagten Personen wiedererkennt. Zum Sachverhalt kann er nichts sagen. Die Verteidigung weist darauf hin, dass es komplett sinnfrei ist, Herrn Hau als Zeuge zu laden, da er weder vor Ort gewesen ist, noch zu der Sache irgendwas sagen kann. Der Zeuge wird entlassen.
Nach einer Pause lehnt der Richter einen weiteren Beweisantrag ab, der sich auf Fotos vom Tag der Besetzung bezieht. Als eine Person aus dem Publikum dagegen protestiert, dass der Richter sich die Fotos nicht ansehen will, lässt er die Person gewaltsam aus dem Saal schleifen und versucht ihre Personalien festzustellen, doch anscheinend können Justizwachteln nicht so gut Personalausweiskopien zu Gesichtern zuordnen…
Anschließend fährt der Richter mit seiner ablehnenden Begründung fort. Er erklärt, dass es unerheblich sei, ob eine einzige Schranke offen oder geschlossen sei.
Die Verteidigung rügt daraufhin den Richter. Zum einen wegen des Rauswurfs der Person aus dem Publikum. Zu anderen aufgrund der Verweigerung das einzige Bild, das es vom Tattag gibt, anzuschauen.
Nun verlangt die Verteidigung erneut die Inaugenscheinnahme der Videoaufnahmen, die zeigen, dass das Gelände eben nicht dauerhaft und nicht komplett umfriedet ist, im Gegensatz zu dem was Zeuge Herr Fabeck zuvor ausgesagt hatte. Der Richter lehnt das mit dem lapidaren Hinweis auf seine vorherige Begründung ab.
Nun stellt die Verteidigung den Antrag die Fotodokumentation von Social Media Posts zu der Baggerbesetzung hinzuzuziehen, um zu klären, ob es sich bei der Aktion um eine Versammlung gehandelt hat. Das lehnt der Richter ebenfalls ab mit der Begründung es gebe mildere Mittel und öffentliche Orte an denen eine Versammlung stattfinden kann.
Einen Beweisantrag der die Rechtmäßigkeit des Strafantrags durch einen RWE Mitarbeiterin bezweifelt, lehnt er ebenfalls ab, genauso zum Klimanotstand, der dringend Handeln erfordert. Da die Regierung dem nicht nachkommt, sei Widerstand legitim und ein Freispruch geboten. Den Antrag lehnt der Richter ebenfalls ab, eine Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre und Eigentum bestehe in der gegenwärtigen Situation nicht. In einer demokratischen Gesellschaft bestünden andere Mittel, um den Klimaschutz durchzusetzen zum Beispiel durch Demonstrationen.
Den Antrag den Leiter des Potsdamer Instituts für Klimaforschung zu laden, lehnt er ebenfalls ab. Der Wissenschaftler könnte beweisen, dass die Veränderungen des Jetstreams die menschengemachte Klimakrise so stark befeuert, dass Widerstand gerechtfertigt sei. Auch einen Beweisantrag zu den Gesundheitsschäden durch die Feinstaubemissionen des Braunkohletagebaus weist er als unerheblich zurück. Auch alle weiteren Beweisanträge, die sich mit der Klimakrise befassen, prallen an Amtsrichter Witzel ab.
Es wird angefangen, einen weiteren Beweisantrag bezüglich des rechtfertigenden Notstand vorzulesen, doch Richter Witzel unterbricht die Ausführungen, und weist darauf hin, dass er alle weiteren Anträge zum Paragraf 34 StGB, rechtfertigender Notstand, als unzulässig ablehnen wird. Daraufhin beantragt die Verteidigung eine zehnminütige Pause, um einen Befangenheitsantrag zu stellen. Das lässt er schließlich mit der Bemerkung zu, er sei nicht befangen. „Darüber entscheiden nicht Sie“, erwidert die Verteidigung.
Die Verteidigung lehnt den Richter aus Besorgnis der Befangenheit ab, weil er geäußert hat, dass er alle Beweisanträge unisono ablehnen werde. Das bedeute, dass er an einer Aufklärung des Sachverhalts nicht interessiert ist. Darüber werde erst nach Abschluss der Hauptverhandlung vor dem Urteil entschieden und er werde deshalb jetzt weitermachen.
Als nächstes folgt ein Antrag, Mona Neubaur, Vorsitzende der Grünen und Wirtschaftsministerin des Landes NRW zu laden, um zu zeigen, dass die Zerstörung Lützeraths nicht notwendig war und Fernsehberichte zu der Baggerbesetzung hinzuzuziehen. Darin wurde darauf hingewiesen, dass die Annahmen über den zukünftigen Strombedarf, die dem Pakt zwischen RWE und Land NRW, zugrunde lagen, falsch sind. Mit der Vorrede, „Beschlossen und verkündet, der Antrag wird zurückgewiesen.“ lehnt er auch diesen Antrag ab.
Den Antrag verschiedene Wissenschaftler*innen zu laden, die die Relevanz des Zivilen Ungehorsams im Kampf gegen die Klimakrise zeigen, lehnt Witzel mit gleichlautender Begründung ab, auch einen Beweisantrag zur Verlesung eines Buchs von Jörg Bergstedt und verschiedener Fernsehberichte zum Verhältnis von Öffentlichkeit und Demokratie. Regierungen und Justiz hinken dem gesellschaftlichen Bewusstsein hinterher. Schließlich sei die Mehrheit der Gesellschaft davon überzeugt, dass die Regierung zu wenig für den Klimaschutz tut. Aktionen zivilen Ungehorsams trügen dazu bei, mehr Druck auf die Regierung auszuüben, um ihren Verpflichtungen für den Klimaschutz nachzukommen. Einen Antrag zur antiemanzipatorischen Struktur der Polizei lehnt er ebenfalls ab und schließt die Beweisaufnahme.
Eineinhalb Stunden braucht eine andere Richterin des Amtsgerichts Kerpen, um den Befangenheitsantrag als unbegründet abzulehnen.
Es folgt das Plädoyer der Staatsanwaltschaft. Die Hauptverhandlung habe eindeutig ergeben, dass der Tagebau rundherum umfriedet sei. Deshalb sei der Straftatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllt. Es sei verständlich, „dass sie vor dem Hintergrund der Klimakrise auf die Barrikaden gehen, aber dann bitte doch im rechtlichen Rahmen“. Deshalb halte er die Geldstrafe von 20 Tagessätzen á 20 Euro für angemessen.
Die Verteidigung sieht den Sachverhalt völlig anders. Andere Richter hatten die lückenhafte Sicherung des Tagebaus gerichtlich festgestellt. Es hätte gezeigt werden können, dass die Behauptung von RWE über die vollständige Befriedung falsch sind, jedoch vom Richter nicht beachtet wurde. Außerdem sei der Widerstand gegen die Verbrennung von Braunkohle legitim. „Die Gesetze, die Sie hier anwenden, stammen aus einer längst vergangenen Zeit. Wann steht RWE endlich vor Gericht, um sich für die Folgen der fossilen Ökonomie zu verantworten?“
Die Verteidigung weist außerdem daraufhin, dass die Aktivist*innen den Bagger verlassen hätten, nachdem sie dazu aufgefordert wurden. Die Aktion kann auch als Versammlung gewertet werden.
Zudem wurde zusammen mit dem Kommentar „Herr Witzel, Sie sind ja auch schon YouTube Star“ erneut darauf aufmerksam gemacht, dass Richter Witzel den heute gebrachten Beweisen keinerlei Beachtung geschenkt hat.
Die angeklagten Personen erklären in ihrem letzten Wort, es sei absurd, dass wir hier den ganzen Tag sitzen müssen, während RWE ungehindert so weiter macht. Es wird wie bisher, die Umwelt zerstört und das Leben und die Gesundheit von Menschen gefährdet.
In seiner Urteilsverkündung watscht der Richter die Arbeit der Verteidigungen ab. Als die Verteidigung widerspricht wird er laut. Daraufhin verlassen alle den Saal. Der Richter beendet gegen 17 Uhr.
Trotz Wind und Regenwetter war die Mahnwache vor dem Amtsgericht stabil. Ein großes Dankeschön dafür an die Mawa Lützerath, Kaffee trinken in Lützi an der Kante war zwar noch schöner als vor dem Amtsgericht, aber wir sind sehr dankbar, dass ihr da ward, genauso auch für die anderen solidarischen Menschen die „unseren“ ersten Prozess in Kerpen begleitet haben und den Boden vor dem Amtsgericht mit Kreide verschönert haben. Zum Abschluss gab es noch ein tolles spontanes Konzert von Los Guerros.