Der erste Prozesstag vorm Landgericht Mönchengladbach wegen BlockNeurath gegen die nächste vom Amtsgericht Grevenbroich verurteilte Person stand ganz im Zeichen vom skrupellosen Kohlekonzern RWE. Draußen vorm Gericht wurde mit einer Mahnwache thematisiert, dass RWE sogar ohne zu bezahlen Wasser aus dem Rhein entnehmen will um die Tagebaue zu fluten und sich um die Kosten für Renaturierung (soweit das überhaupt möglich ist) zu drücken. Einmal mehr wird hier deutlich, welche Zerstörung die Braunkohle hinterlässt.
Noch vor Beginn der Verhandlung machte die Staatsanwaltschaft ein „Angebot“ in der Strafforderung unter 90 Tagessätze zu bleiben (also unter dem wozu die erste Person verurteilt wurde), wenn auf Beweisführung und somit Verteidigung verzichtet wird, was die Angeklagte ablehnte.
Bei Prozessbeginn waren mal wieder die entwürdigenden Prozeduren des Gerichts (nach jedem Toilettengang kontrollieren) Thema, welche die Richterin natürlich vollkommen angemessen fand. Bei den Einlasskontrollen kam später noch heraus, dass einer der Anwälte, die RWE mit der Zivilklage beauftragt hat (Kanzlei Redeker Sellner Dahs) sein Handy mit rein nehmen konnte, was die anderen Zuschauer*innen natürlich nicht durften. Die Ursache der Ungleichbehandlung konnte natürlich nicht aufgeklärt werden – aber was wundert uns das.
Die Anwältin wurde als Pflichtverteidigung beigeordnet und ein weiterer nicht-anwaltlicher Verteidiger als Ersatz für eine Verteidigung, die an keinem der Termine kann, genehmigt.
Dann las die Angeklagte eine schriftliche Erklärung mit aktuellen Beispielen für Flutkatastrophen, Hitzewellen, Waldbränden und anderen Klimafolgen vor. Sie erklärte dass die Klimakonferenzen keine Lösung bringen würden, weder 2021 noch heute und dass durch die Aktion BlockNeurath der Kohleausstieg selbst in die Hand genommen und nur der Gewinn von RWE geschmälert wurde. Sie bezog sich auf eine Klimaklage gegen RWE von einem peruanischen Bergführer und thematisierte, dass sowohl für den Atomausstieg als auch für das Frauenwahlrecht Gesetze überschritten wurden, inklusive gefällten Strommasten und eingeworfenen Fensterscheiben sowie Ankettaktionen. In Bezug auf das letzte Urteil von Richterin Flecken, in dem diese der angeklagten Person „Borniertheit“ vorgeworfen hatte, meinte sie es hätte nichts mit Borniertheit zu tun, zu realisieren, dass ein paar Elektroautos oder -heizungen einfach nicht weit genug gingen, sondern schlicht mit Realismus. Sie schloss damit, dass Gerichte nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sind. (Einlassung zum BlockNeurath-Landgericht-Prozess als pdf)
Dann folgten die Zeugenvernehmungen von vier Zeugen von RWE. Im Laufe der Vernehmungen kam heraus, dass Frau W von der Justizabteilung von RWE zusammen mit einem RWE-Anwalt, der als Zuschauer am Prozess teilnahm mit allen vier RWE-Zeugen eine gemeinsame Video-Vorbereitung des Prozesses gemacht hatte, auch wenn alle Zeugen zunächst versuchten, auf entsprechende Fragen nach der Vorbereitung ausweichend zu antworten, beispielsweise sagten, dass in der Vorbereitung nicht thematisch gesprochen wurde, um dann zu erklären, dass dort schon gesagt wurde, was sie thematisieren müssten. Die ersten beiden Zeugen vom RWE-Bahnbetrieb waren dort darauf hingewiesen worden, dass sie doch bitte im Prozess Sachen richtig stellen sollten, die bei der Verhandlung im letzten Jahr falsch angekommen seien – nämlich dass beide Strecken zum Kraftwerk blockiert waren. Zu dem Zwecke hatten die Zeugen dann entsprechend auch Karten mitgenommen, auf denen sie erklärten, dass es insgesamt vier Blockaden gab, je zwei nördlich (Versorgung aus dem Tagebau Garzweiler) und südlich des Kohlekraftwerks Neurath (Versorgung aus dem Tagebau Hambach). Die RWE-Bahnbetriebs-Zeugen mussten jedoch auch zugeben, dass wenn nur eine der Strecken blockiert gewesen wäre, natürlich die Zufahrt über die andere Strecke möglich gewesen wäre. Die Streckensperrung erfolgte zur Eigensicherung der RWE-Bahn-Mitarbeiter, welche die Strecke abgingen um gesichtete Personen im Gleis zu suchen. Der Richterin wurde bei der Vernehmung erst klar, dass sie beim letzten Prozess etliche Sachen anders verstanden hat, was aber auch zeigt, dass sie es nicht für vollständig nötig hielt, den Sachverhalt zu durchdringen, um zu verurteilen.
Die nächsten beiden Zeugen wurden begrüßt, indem im Publikum einige Menschen aufstanden, sodass der Schriftzug „RWE tötet“ auf T-Shirts zu sehen war. Die Richterin kommentierte „Keine Demonstrationen im Gerichtssaal“, es ging dann aber weiter mit der Zeugenvernehmung.
Als dritter Zeuge folgte der Leiter des Blockbetriebs des Kraftwerks Neurath, der mittlerweile in Rente ist, aber immer noch treu zu RWE hält. Mehrmals wollte er Fragen zunächst nicht beantworten, damit Aktionen nicht optimiert werden könnten und antwortete mit „vielleicht“ und meinte damit eigentlich „ja“, oder mit „nein“, obwohl er die Antworten auf die Fragen mit Sicherheit wusste. Bei einer Frage korrigierte er, als er die Relevanz verstand, die Antwort dann auf „wenn das so ist, nein“ (inhaltliches, nicht wörtliches Zitat) um die Angeklagte zu belasten. Ansonsten hatte er veranlasst, einige Blöcke ab 12 Uhr auf Schwachlast zu fahren und um 18 Uhr einen Block komplett vom Netz zu nehmen, nachdem er mit der Kohleleitstelle telefoniert hatte, die im jedoch nicht sagen konnte, ob die Polizei räumte. Zu dem Zeitpunkt waren die meisten Blockaden schon geräumt, es stellt sich also die Frage, ob ein Schaden, der dadurch entstanden ist, dass RWE und Polizei nicht in der Lage sind miteinander zu kommunizieren, wirklich Aktivist*innen angerechnet werden kann. Der Zeuge jedoch fand seine Entscheidung vollkommen richtig, auch wenn sich auch in dieser Vernehmung wieder Widersprüche zu seinen letzten Aussagen zeigten („Waren die Bunker prall gefüllt?“ „Prall gefüllt geht nicht“ – „Aber das ist Ihre Formulierung vorm Amtsgericht gewesen“).
Zuletzt war wieder der RWE-Rechenkünstler A dran, ebenfalls zum fünften Mal. Er hatte eine Präsentation mitgebracht, um die Schadensberechnung zu verdeutlichen, die auf Strommarktpreisen und CO2-Kosten basierte. Obwohl sich ein Schreiben eines anderen RWE-Mitarbeiters in der Akte befindet, in welchem dieser klar macht, dass die Schadensberechnung kompliziert ist, weil sie Zugriff auf die Einzelverträge benötigt, erklärte A weiterhin, dass es reiche, das anhand der Marktpreise zu berechnen. Er behauptete, Belege würde es nicht geben, weil das alles über die Börse laufe. Also schließt RWE Stromliefer-Verträge ohne irgendwelche Belege? Im Laufe der Vernehmung wurde dann auch klar, dass die Gewinnmarge von RWE für ihn auch Teil des Schadens ist. Zu RWEs Gewinnen am 5.11.2021 konnte er übrigens nichts sagen. Zum ersten Mal konnte der Zeuge nicht einfach lange Ausführungen über den CO2-Zertifikathandel und seine Ansichten dazu verbreiten, sondern wurde von Anwältin und Richterin darin gestoppt, denn dazu sei er nicht qualifiziert und das sei irrelevant, eine angenehme Abwechslung dazu, sich seine langen Monologe anzuhören. Als er behauptete, RWE halte sich schließlich an Gesetze und Gelächter aus dem Publikum fragte die Richterin nach „ich weiß gar nicht, was es da zu lachen gibt“ und wollte dann die Erklärung „RWE hält sich ständig nicht an Gesetze“ unterbinden, was einigermaßen spannend ist, haben doch alle RWE-Zeugen heute zugegeben, vorab eine Absprache getroffen und Anweisungen bekommen zu haben (was zumindest ein fragwürdiges Verständnis von „Zeug*innen“ offenbart) und „vielleicht“-Antworten auf eindeutig beantwortbare Fragen könnten als illegale Falschaussagen gewertet werden (wären sie von uns würden sie das bestimmt).
Nach der Vernehmung des Zeugen wurde die Verhandlung dann geschlossen. Am 6.12. um 9.15 Uhr geht es weiter, an dem Tag mit zahlreichen Polizei-Zeug*innen.