Personalienverweigerung

Woher kommt die Strategie?

Wir erinnern uns an die erste Diskussion über Personalienverweigerung auf dem Klimacamp im Rheinland 2013, welches gemeinsam mit dem Reclaim The Fields Treffen stattfand. So waren viele internationale Aktivist:innen vor Ort, welche die Diskussion um Personalienverweigerung mitbrachten. Nach einigen Debatten gingen viele erfolgreich ohne Personalien in eine Schienenblockade – RWE brachte sie sogar mit Bussen ins Camp zurück. Die Personalienverweigerung wurde von den Aktivist*innen auch als Akt der internationalen Solidarität gesehen, da es der Polizei nunmehr kaum noch möglich war, die Personen ohne deutsche/EU-Staatsbürger*innenschaft auszusieben – und härter zu bestrafen. In den darauf folgenden Jahren wurde Personalienverweigerung zunächst im Hambacher Forst und dann bei vielen Massenaktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung zur Normalität. Sie entpuppte sich als erfolgreiche Strategie gegen Unterlassungserklärungen [Mit Unterlassunsgerklärungen haben wir uns in unserem ersten Newsletter beschäftigt: https://antirrr.nirgendwo.info/files/2019/12/news1.pdf]. Gerade bei Ende Gelände-Aktionen identifizierte die Polizei nur wenige der Beteiligten und hatte auch keine Gesa (Gefangenensammelstelle)-Plätze für mehrere Hundert Aktivist*innen, was zu einer immer größeren Verbreitung der Personalienverweigerung als wirksames Mittel gegen Repressionen führte. Die Strategie entwickelte sich weiter: Am Anfang wurden oft nur die Personalien verweigert, mittlerweile sind viele Aktivist*innen gut vorbereitet und haben sich vermummt, ihr Gesicht unkenntlich gemacht und ihre Finger präpariert um das Nehmen von Fingerabdrücken zu verunmöglichen.

Warum Personalienverweigerung?

Durch (erfolgreiche) Personalienverweigerung können staatliche Repressionen oft vermieden werden – ohne erkannte Identität keine Straf- oder Zivilverfahren, und damit keine Strafen im Nachhinein. Falls die Identität später noch enthüllt wird, treten die Folgen immerhin mit zeitlicher Verzögerung ein. Die solidarische Wirkung in Bezug auf Menschen die keinen deutschen Pass besitzen, einen unsicheren Aufenthaltssatus haben, deren eingetragenes Geschlecht nicht zu dem von den Cops erwarteten passt, oder auf andere Art besonders diskriminiert werden, wurde oben bereits erwähnt. Bei großen Aktionen bietet ihnen die Masse den Schutz, um trotzdem Teil sein zu können. Zudem überfordert eine große Anzahl Aktivist:innen ohne Identitätsangabe oft das Bearbeitungsssystem von Polizei und Justiz, was ein weiterer Vorteil ist.

Wie geht das?

Es beginnt damit, keine Aussagen zu machen und nichts zu unterschreiben. Das gilt sowieso immer, erstreckt sich aber nun auch auf Name, Geburtstdatum und Adresse. Damit diese Daten der Polizei nicht anders bekannt werden, ist es wichtig, nichts bei sich zu tragen, was darauf hinweist: Also bleiben Personalausweis, EC-Karte, Krankenkassenkarte, Studi- oder Schüler:innenausweis, der Organspendeausweis usw. zuhause. Gleiches gilt für technische Geräte, die auf euren Namen registriert sind, wie Handys oder Laptops.

Darüber hinaus benutzen manche Aktivist*innen weitere Techniken, um im Gewahrsam und auch im Nachhinein eine Identifizierung zu vereiteln: Sie schminken sich und ziehen bei polizeilichen Fotos Grimassen, um biometrische Gesichtserkennung zu erschweren. Außerdem präparieren viele ihre Fingerkuppen, z.B. mit Sekundenkleber und Glitzer, oder über das Anritzen der obersten Hautsicht mit Rasierklingen oder Nadeln. Tattoos, Narben, Muttermale und ähnliches können verdeckt oder übermalt werden. Vor und nach der Aktion ist außerdem wichtig, nicht unverschlüsselt oder sogar auf Sozialen Medien über die Aktion zu kommunizieren.
Andere Menschen in der Bewegung entscheiden sich gegen das Präparieren, da es teilweise schwierig anzuwenden oder emotional anstrengend ist. Die Techniken können leicht erlernt werden, und das Wissen darüber ist bei vielen Menschen in der Bewegung vorhanden.

Wie reagiert der Staat?

Da wir durch ID-Verweigerung die Strafververfolgung des Staates behindern, gibt es darauf natürlich auch eine Reaktion. Nicht- oder Falschangabe der Personalien bei der Polizei ist eigentlich nur eine Ordnungswidrigkeit, es folgt in seltenen Fällen eine geringe Geldbuße (nach der Identifizierung). In manchen Versammlungsgesetzen, wie z.B. in NRW, wird allerdings das Tragen von Gegenständen, die der Identitätsverschleierung dienen können (z.B. Schlauchschals), als Straftat gewertet.

Viel relevanter für uns sind jedoch meist die strafprozessualen und polizeirechtlichen Folgen – also dass, was die Polizei mit uns macht, um ihre Vorhaben und die Durchführung eines Strafprozesses zu sichern. In der Praxis heißt dies, dass sie uns durch Zwang zur Preisgabe unserer Idenität bringen wollen.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden wir bei Verweigerung unserer Personalien in Gewahrsam genommen – bei Vorwurf einer Straftat (also fast immer) bis höchstens 24 Uhr des Folgetags. Im Gewahrsam wird meist eine erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt, es werden also Fotos, Körpermaße und Fingerabdrücke erfasst. Wenn eine Straftat vorgeworfen wird, ist es zudem möglich, dass von einer:m Richter:in Untersuchungshaft verhängt wird, wenn die Personalien nicht bekannt werden. Das kann dann auch länger dauern – bis zu einem Prozess über die Straftat. Bei schwereren Straftaten oder in einigen Regionen wie Brandenburg oder Bayern ist das wahrscheinlicher. Wegen leichteren Straftaten wie Hausfriedensbruch gab es in NRW noch keine Untersuchungshaftfälle.

Bei minder schweren Fällen ist in NRW mittlerweile das 7-Tage-Gewahrsam als Ersatzbestrafung möglich (in anderen Bundesländern abweichende Regelungen mit unterschiedlicher Dauer) – und wird inzwischen oft angewandt. Leider macht die Polizei auch bei der nachträglichen Identifizierung Fortschritte: So sind mittlerweile Gesichtserkennungen auch bei Übersichtsaufnahmen, z.B. auf Demos, möglich. Zum Repertoire gehören außerdem öfter Anfragen bei allen regionalen Polizeistationen im Bundesgebiet (also auch an eurem potentiellen Wohnort) und seltener Öffentlichkeitsfahndungen über Zeitungen.

Was für Nebenwirkungen hat die Strategie noch?

Über die direkten Folgen hinaus gibt es außerdem weniger offensichtliche Auswirkungen, die zu Bedenken sind: Bei erfolgreicher ID-Verweigerung ist es aus offensichtlichen Gründen nicht möglich, im Nachhinein Klage wegen Polizeigewalt oder anderen Rechtsverletzungen zu erheben. Je nach Willkür des Gerichts ist es auch schon vorgekommen, dass sich ID-Verweigerung strafmaßverschärfend ausgewirkt hat. Eine Garantie für eine erfolgreiche Verweigerung gibt es natürlich nicht, und wenn deine Identität bereits einmal enthüllt wurde, wird es in Zukunft schwieriger. Auch die Erfahrung, 7 Tage in Polizeigewahrsam, also an einem komplett fremdbestimmten Ort eingesperrt, zu verbingen, sollte in ihren (auch langfristigen) psychischen Auswirkungen nicht unterschätzt werden. Menschen kommen mit dieser Situation sehr unterschiedlich gut oder schlecht klar.

Ebenfalls gravierend sind die Auswirkungen auf die gesamte Bewegung als Kollektiv: Wir sammeln weniger Erfahrung mit Gerichtsprozessen, sodass diese und ihre Folgen noch abschreckender wirken – auch wenn weniger Gerichtsprozesse natürlich erst mal gut sind. Zudem ist Solidarität mit Betroffenen von Prozessen schwierig, wenn andere Teilnehmer:innen der Aktion fürchten müssen, an Eingangskontrollen oder Kundgebungen vor Gerichten erkannt zu werden.
Viele Aktivist:innen haben bei erfolgreicher (mehrfacher) ID-Verweigerung außerdem Sorge davor, bei kommenden Aktionen erkannt zu werden, sodass nachträglich doch noch Strafverfahren eingeleitet werden und „alles umsonst war“. Auf diese Art und Weise wirkt die Repression am langen Ende dann doch noch abschreckend und kann langfristiges aktiv Bleiben verhindern.

Und nicht zuletzt stellt die Praxis auch unsere Solidaritäts-strukturen vor besondere Herausforderungen: Mahnwachen vor Gewahrsamsstellen müssen 7 Tage lang besetzt, sowie Betroffene von Untersuchungshaft über Monate hinweg unterstützt werden. Neben den psychischen Folgen für die Betroffenen selbst ist dies eine große Arbeitsbelastung für die Bewegung (auch wenn einige Prozesse wegfallen).

Und wie weiter?

In der letzten Zeit hatten wir persönlich den Eindruck, dass sich ID-Verweigerung in manchen Bewegungsteilen als unhinterfragter Standard durchsetzt. Ob Personalien verweigert oder angegeben werden, bleibt aber eine persönliche Entscheidung, zu der niemensch gedrängt werden sollte. Am besten sprechen sich Menschen mit ihrer Bezugsgruppe ab, um weiterhin als Gruppe agieren zu können und sich gegenseitig zu unterstützen – sei es beim Gesa- oder Knast-support oder bei Prozessen. Natürlich gilt: Wir bleiben solidarisch mit allen Aktionsformen! Ob flauschig oder militant, wichtig bleibt der Widerstand 😉

Ob Personalienverweigerung weiterhin als politische Praxis gegen Repressionen taugt, können wir in so einem Newsletter natürlich nicht abschließend klären. Wir finden allerdings, dass es eine bewusst getroffene Entscheidung sein sollte. Hoffentlich konnten wir mit diesem Newsletter zu einer breiteren Debatte in der Klimagerechtigkeitsbewegung beitragen. Wir freuen uns dazu auch über Anregungen und neue Strategien von euch.