Warum überhaupt Verfahren gegen Hunderte?
Wenn gerade jetzt wieder hunderte Briefe von Polizei und Gerichten bekommen, sehen viele sich das erste Mal mit Strafverfahren konfrontiert und fragen sich vielleicht: „Will der Staat wirklich Hunderte, die an einer gemeinsamen Aktion teilnahmen, verurteilen? Praktisch ist das doch kaum möglich, so viele Gerichtsverfahren zu führen!“ Aus unserer Sicht geht es den Repressionsbehörden nicht vorrangig um tatsächliche Verurteilungen, sondern vor allem um Einschüchterung. Der Staat will Aktivist*innen und der Öffentlichkeit zeigen, dass ziviler Ungehorsam und sich Wehren gegen die Klimazerstörung nicht unbestraft bleiben. Ein laufendes Strafverfahren schüchtert vor allem ein, es hält die betroffene Person und andere Aktive in deren Umfeld vielleicht erst mal von weiteren Aktionen ab. Neben der individuellen Einschüchterung richten sich solche Verfahren auch strukturell gegen die (Klimagerechtigkeits-)Bewegung, sie sollen Kapazitäten nehmen, uns zwingen sich erst mal damit zu beschäftigen und nicht mit weiteren Aktionen Sand ins Getriebe zu streuen. Es geht meistens gar nicht vorrangig darum, wirklich alle zu verurteilen.
Ein weiterer Grund kann die „Dienst nach Vorschrift“-Haltung der Polizei und Justiz sein. Wenn viele Menschen bei einer Aktion „geschnappt“ werden, versucht die Polizei erst mal möglichst viele Personalien festzustellen (Daten sammeln macht Behörden Spaß), und wenn dann Anzeige erstattet wird, können sie hinterher kaum aussortieren, denn es haben sich ja alle sehr ähnlich verhalten. Das bedeutet auch, dass die Wege der Repression nicht immer von den Verantwortlichen selbst von vorne nach hinten durchdacht werden, sondern eine Stelle der anderen zuarbeitet und keine sich traut, Klimaaktivist*innen ungeschoren davonkommen zu lassen.
Was dagegen tun?
Wie gehen wir nun also damit um, als Bewegung, als Gruppe, als Einzelpersonen, als Antirepressionsstrukturen? Die Antwort ist wie immer: Solidarität. Damit das keine leere Phrase bleibt, hier ein paar Vorschläge: Ihr könnt euch in einer Stadt mit Betroffenen und solidarischen Menschen gemeinsam treffen um zu überlegen, woher ein bisschen Geld für mögliche Strafen und Anwält*innen-Kosten aufgetrieben werden kann, wie politisch Druck ausgeübt werden kann, sodass RWE Strafbefehle zurück nehmen muss, oder wie ihr mit Medien eure eigene Öffentlichkeit herstellen könnt, falls das gewünscht ist. Nutzt solche Treffen auch um darüber zu reden, was das gerade mit Menschen macht, ein Strafverfahren zu haben – psychisch, finanziell, beruflich etc. Ausgesprochenen Ängsten kann gemeinsam noch viel besser begegnet werden, denn vielen Menschen hilft es schon wenn ihre Sorgen gehört und geteilt werden. Aber es gilt auch: Repression gehört zur Aktion, zum politischen Alltag. Selbst wenn wir uns natürlich mit der Repression, Soli-Aktionen oder Soli-Geld-Sammlungen beschäftigen, bleibt es genauso wichtig, weiterhin aktiv zu sein, sich nicht einschüchtern zu lassen und selbst Sand im Getriebe zu bleiben. Auf weitere widerständige und ungehorsame Jahre!
Gemeinsame Umgangsstrategie – Erfolgserfahrungen bei EG 2015
Wie wichtig und erfolgreich es sein kann, sich mit den Betroffenen zu vernetzen und auszutauschen, zeigt die Antirepressionsarbeit zu der allerersten Ende Gelände Aktion im Jahr 2015. Auch damals versuchte die Staatsanwaltschaft alle, von denen sie Personalien hatte, verurteilen zu lassen wegen Hausfriedensbruch, es gab zahlreiche Strafbefehle. Die meisten hielten die Verfahren für aussichtslos, denn natürlich waren alle gemeinsam im Tagebau. Den Angeklagten wurden Einstellungen gegen Auflage angeboten; statt einer Verurteilung sollten die Menschen mehrere hundert Euro an verschiedene Vereine zahlen. Gemeinsam gingen die Betroffenen aber auf Risiko, die Verfahren wurden schließlich nach ersten Freisprüchen wegen einer juristischen Spitzfindigkeit für alle gewonnen: Der Tagebau war nicht vollständig umfriedet. Vielleicht ist das diesmal anders, aber wer weiß, welchen Fehler sie diesmal gemacht haben. Es lohnt sich, zumindest zu versuchen zu kämpfen. Denn für hunderte Gerichtsverfahren sind auch deren Gerichte einfach nicht ausgelegt. Niemals aufgeben! Und Gerichte sind zum Essen da!