Augenzeugenbericht über Polizeigewalt bei friedlicher Kundgebung am Hambacher Wald

Der folgende Bericht einer Augenzeugin beschreibt wie eine Polizeieinheit ohne Ankündigung eine friedliche Kundgebung für den Erhalt des Hambacher Forst am 15.9.2018 auf der Landstraße zwischen Buir und Morschenich brutal angreift und dabei auch vor einem Journalisten nicht halt macht. Es wird die Frage aufgeworfen, warum die Polizei ohne jegliche Ankündigung oder Rechtsgrundlage so handelt und warum so etwas eigentlich nur in anderen Ländern kritisiert wird.

Am 15.09.2018 wurde ich Zeugin von willkürlicher brutaler Polizeigewalt gegenüber friedlichen Demonstranten. An diesem Samstag nahm ich nachmittags in der Nähe der Ortschaft Buir an einer angemeldeten Demonstration gegen die Rodung des Hambacher Waldes und gegen die Räumung der Baumhäuser teil.

Ungefähr gegen 16.00 Uhr kam ich mit dem Auto an und wollte in Umgebung der Mahnwache parken, die sich an der Landstraße zwischen den Orten Buir und Morschenich befand. Da der Landstraßenabschnitt vor der Mahnwache weiträumig von der Polizei gesperrt war (aus Richtung Buir aus konnte man auf diesem Abschnitt nicht in Richtung Morschenich fahren) parkte ich mein Fahrzeug an einem Feldweg.

Offensichtlich war die Landstraße extra von der Polizei für die angemeldete Demonstration / Kundgebung für den Durchgangsverkehr gesperrt worden. Als ich zu Fuß vor der Mahnwache ankam, war der Straßenabschnitt davor von ca. ein paar hundert Menschen bevölkert, die sich dort sitzend, unterhaltend und musizierend, aufhielten. Es war eine heterogene Menschenansammlung, die dort durchgehend friedlich ihr Recht wahrnahm, an einer angemeldeten Demonstration teilzunehmen. Darunter gab es Menschen aller Alterstufen und insbesondere auch Familien mit Kindern. Viele Bürger und Bürgerinnen aus der Region hatten vor den Protesten gegen die Rodung des Hambacher Waldes noch nie an Demonstrationen teilgenommen, waren quasi unerfahren in politischen Kämpfen, wie sie in Gesprächen mitteilten.

Um mir die Zeit zu vertreiben, hatte ich Zeichenpapier und Malstifte mitgebracht. Ich wollte während meiner Zeit auf der Kundgebung ein kleines Transparent mit einem Protestslogan gestalten.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie spät es war, als die Polizei plötzlich und völlig unangekündigt gewaltsam gegen die angemeldete Menschenansammlung vor der Mahnwache vorging. In Internetblog: https://hambacherforst.org/blog/2018/09/07/ticker-september-2018/ wird angegeben, dass dieser polizeiliche Angriff auf die Kundgebung um 18.22 Uhr stattgefunden hat.

Nach meiner Erinnerung lief es folgendermaßen ab:
Mehrere Polizeitransporterfahrzeuge fuhren aus Richtung Buir kommend auf der für den Durchgangsverkehr gesperrten Straße Richtung Morschenich. Kurz vor der auf der Straße sitzenden Menschenmenge hielten die Wagen abrupt an. Circa ein halbes Dutzend Polizisten „stürmten“ aus den Wagen, und rannten in die Menschenansammlung. Dabei traten sie ohne Ankündigung und ohne Aufforderung die Straße zu räumen, wahllos auf die sitzenden Menschen ein. Sofort standen die Menschen auf und die meisten versuchten panikartig die Straße in Richtung der angrenzenden Felder zu verlassen.

Anfangs schrie einer der „stürmenden“ Polizisten sinngemäß „ Einer unserer Kameraden ist verletzt worden“. Als wollte er mit dieser Aussage das „Zusammentreten“ einer Menschenansammlung an einem Ort legitimieren, wo weder ein Polizist angegriffen worden war, noch überhaupt nachvollziehbar war, auf welche „Kameradenverletzung“ sich diese mutmaßliche Racheaktion seitens staatlicher Vollzugsorgane an unbeteiligten Bürgern und Bürgerinnen bezog. Genauso wenig war nachvollziebar, ob aktuell überhaupt irgendwo eine „Kameradenverletzung“ stattgefunden hat und wenn ja, wodurch sie verursacht wurde und um welche Art der Verletzung es sich handelte.

Ich gehörte zu den „Glücklichen“ die sich noch rechtzeitig auf einem Feld in Sicherheit bringen konnten, bevor die Polizisten mich treten konnten. Von der Seite aus beobachtete ich, wie die Menschen sich verhielten. Einige Demonstranten standen nur auf, ohne direkt die Straße zu verlassen. Sie wurden von den Polizisten in Kampfausrüstung von der Straße geschubst. Dies geschah wahllos und ohne Ansehen der Person. Lautstark schrie ein Mann, „Ich bin von der Presse, ich bin Journalist“, was die Polizei überhaupt nicht beeindruckte, die ihn weiter mit groben Stößen herumschubste. Aufgrund seiner fassungslosen Reaktion und seiner Ausrüstung hatte ich den Eindruck, dass es sich bei diesem Journalist nicht um einen Blogger von irgendeinem alternativen Medium handelte, sondern von einem offiziellen öffentlich-rechtlichen Programm, der sich nie vorstellen konnte, von der Polizei derart misshandelt zu werden.

Trotz des brutalen Vorgehens der Polizei, gab es auch einige Leute, die nicht sofort von der Straße flüchteten, sondern tapfer auf der Strasse blieben auch wenn sie grob geschubst wurden. Es waren immerhin so viele, dass die Straße nicht sofort für die Polizeiwagen frei wurde und die Handvoll Polizei, die die Wagenkolonne der Polizei verlassen hatte, schaffte es nicht auf Anhieb die Straße für die Wagenkolonne frei zu treten.

Erst nach mehreren Minuten, konnten die Polizeiwagen die Straße vor der Mahnwache passieren, wobei die Demonstranten nur passiven Widerstand leisteten und die Polizei nach meiner Beobachtung weder zurückgetreten noch zurückgeschubst wurde.

Nachdem die Polizeiwagen durchgefahren waren, waren viele Menschen fassungslos über das Verhalten der Polizei.
Bis heute frage ich mich unter anderem:

  • Warum hat die Polizei, die auf der Straße sitzenden Menschen nicht gebeten, gefragt oder aufgefordert, die Straße zu räumen und die Polizeifahrzeuge passieren zu lassen?
  • Warum hat die Polizei sich so verhalten, als säßen die Menschen rechtswidrig auf diesem Straßenabschnitt, wo es sich doch um eine angemeldete Demonstration / Kundgebung handelte und die Polizei für diese Veranstaltung den Straßenabschnitt selbst für die Durchfahrt gesperrt hatte?
  • Warum hat die Polizei offensichtlich als Grund für ihr brutales Vorgehen eine Art „Rache- oder Sippenhaft-Motiv“ angegeben, was einem völligen Rechtsbruch gleichkommt?
  • Warum hat die Polizei nicht zunächst angeordnet, dass sie die Versammlung ab sofort verboten wird und die Straße zu räumen ist, um bei Zuwiderhandlung wenigstens eine Art „Pseudo“- Rechtsgrundlage für Maßnahmen zur Räumung zu haben?
  • Warum war der Polizei die fehlende rechtliche Grundlage für ihr Handeln bzw. ihr eindeutiges widerrechtliches Handeln völlig gleichgültig und die Demonstration von polizeilichen Willkürrechten vor friedlichen Bürgern und Bürgerinnen mutmaßlich ein wichtiges Anliegen?

Nach kurzer Zeit setzten sich die Menschen wieder auf die Straße. Es gab auch mehrere Durchsagen seitens der Kundgebungs-Veranstalter, dass es sich um eine angemeldete Demonstration handelte und man sich dementsprechend rechtmässig auf der Straße aufhalten dürfte. Nicht lange danach kamen schließlich mehrere Polizeiwagen aus Richtung Morschenich von der anderen Seite in Richtung Menschenansammlung auf der immer noch für den Straßenverkehr gesperrten Landstraße angefahren. Dieses mal stiegen viel mehr Polizisten aus den Fahrzeugen als vorher und begaben sich in die Menschenansammlung, dieses mal ohne um sich zu treten. Am linken Straßenrand bildeten sie, indem sie die Demonstranten grob beiseite schoben, ein zweireihiges Spalier, deren Mittelgang sie immer weiter gegen die Menschenansammlung pressend vergrößerten, um dann die Polizei-Fahrzeuge aus Richtung Morschenich in Richtung Buir passieren zu lassen.

Mittlerweile stellte ich mir die Frage, ob die Polizei mit ihrem Hin- und Herfahren durch die Kundgebung und ihr willkürlich brutales Vorgehen die friedlichen Demonstranten zu Gewalttaten gegenüber der Polizei provozieren wollte?
Oder könnte es sein, dass die Einsatzleiter einfach die Gelegenheit nutzen wollten, unterschiedliche Polizeitaktiken zum Überwinden einer demonstrierenden Menschenansammlung mit Polizeifahrzeugen zu testen?
Möglich wäre auch, dass sie die Teilnahme von immer mehr bislang unpolitischen Bürgern, u. a. auch Familien mit Kindern dadurch eindämmen wollten, dass sie „abschreckende“ Taktiken einsetzten?

Auf jeden Fall schien sich die Polizei sich trotz der anwesenden Journalisten keine Sorgen zu machen, dass ihr gewalttätiges Vorgehen strafrechtliche Konsequenzen sie haben könnte. Als wenn ihr Vorgehen nicht situativ und spontan entschieden, sondern von höherer Stelle abgesichert wurde.

Dabei ging es den Demonstrationsteilnehmern und Teilnehmerinnen größtenteils wie mir. Eine derartig brutale Vorgehensweise, und insbesondere das martiale Treten in sitzende Bürgerinnen auf einer angemeldeten Versammlung hatten sie noch nie erlebt. Viele Menschen waren fassungslos und konnten kaum glauben, was da passiert war. Bei einer ähnlich unverständlichen Situation anlässlich von Protestaktionen gegen die Rodung des Hambacher Forstes, als einem gesellschaftlich anerkannten Künstler aus Leibzig von der Polizei ein Malverbot im Wald erteilt wurde, hörte ich fassunglose Bürger sogar schreiend fragen „Wo lebe ich hier? – Ist das mein Deutschland? – Ist das unsere Demokratie?“

Ich frage mich allerdings auch: War ich bisher naiv? Hat die Polizei bei der Verteidigung von Konzerninteressen schon immer das Recht gehabt willkürlich und rechtswidrig vorzugehen? Bzw, wird brutales polizeiliche Willkür gegen friedliche Bürger bei zur Durchsetzung von Kapitalinteressen schon immer toleriert? (Es sei denn, der Widerstand aus der Bevölkerung nimmt so massive Formen an, dass man bürgerkriegsähnliche Zustände riskieren würde?) Oder wird auf diese Polizeiaktionen schon das demnächst in kraft tretende neue Polizeigesetz angewandt, das der Polizei Befugnisse zugesteht, wie sie seit der Nazi-Zeit nicht mehr hatte?

Obendrein ist es ganz besonders irritierend, dass die bürgerliche Presse trotz oftmals dokumentierter Anwesenheit, von rechtswidrigen Methoden der Polizei kaum etwas mitzukriegen scheint. Man findet nach diesen Vorkommnissen in den bürgerlichen Medien keinerlei in Fragestellungen oder Reflektionen darüber, welche polizeilichen Methoden bei Einsätzen im Hambacher Wald demokratisch legitimiert sind.
Wie schnell ist die deutsche Presse im Gegensatz dabei, die Vernachlässigung von „Menschenrechten“ in andern Ländern anzuprangern oder staatliche Willkür gegenüber Künstlern woanders zu kritisieren. Ich erinnere an den medialen Hype um die angenommene chinesische Staatswillkür gegenüber dem Künstler Ai Weiwei, die häufig unterstellte Gewalt gegenüber Journalisten in Russland, oder die vielfältigen mutmaßlichen Einschränkungen von Demonstrationsrechten irgendwo anders auf der Welt in deutschen Medien.

Wie blind sind die unsere Medien im Verhältnis zu ihrer Kritik an Staatswillkür in anderen Länder gegenüber den Zuständen im eigenen Land! Als gäbe es selektive Wahrnehmungsmechanismen zur Beschönigung der demokratischen Zustände in Deutschland.

Es entsteht der Eindruck, als drücke man hierzulande für die Reichtumsmaximierung der Anteilseigner von Konzerne alle Augen zu, was die Methoden der staatlichen Protest-Repression betrifft. In einem „Musterland“ der Demokratie, welches sich an der „Herbeibombung“ von Demokratie in fernen Ländern beteiligt, dürfen polizeiliche Willkür und Gewalt nicht thematisiert werden.