Die Versammlungsgesetze und die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgesetzes sind so, dass Versammlungen nur in Ausnahmefällen videoüberwacht werden dürfen, da dies sonst die Versammlungsfreiheit unzulässig einschränken würde. In Hannover wurde bereits erstritten, dass die Polizei Straßenkameras verhüllen muss, wenn eine Demo vorbei geht. Die Polizei in Aachen hat nun eine ganz eigene Auffassung von der Versammlungsfreiheit: Weil der Platz vor ihrem Polizeipräsidium videoüberwacht sei, dürfe dort keine Versammlung stattfinden. Das kehrt das Recht auf Versammlungsfreiheit vollkommen um.
Es ist kein Geheimnis, dass die Polizei Aachen nicht besonders erfreut darüber ist, dass immer wieder solidarische Menschen vor der Gefangenensammelstelle (Gesa) warten auf Menschen, die im Widerstand gegen die Braunkohleverstromung von der Polizei verschleppt wurden, dort wieder frei gelassen werden. Weil direkte Kritik vor der Haustür des Präsidiums aber unerwünscht ist, sollen die Gesa-Mahnwachen aber aus Sicht der Polizei besser außer Sichtweite stattfinden. Das damit der Zweck Menschen nach meist weniger schönen Stunden in der Gewalt der Polizei in Freiheit zu empfangen, völlig kontarkariert wird, ist wohl eher Absicht als Nebeneffekt.
Nun muss aber, wenn eine Versammlung auf einem öffentlich zugänglichen, nicht privaten Gelände verboten werden soll, eine Begründung her. Und die Polizei Aachen ist da, bei der Erteilung von Auflagen für eine Mahnwache während des Klimacamps im Rheinland zum Warten auf Eingesperrte von Kohle ersetzen, äußerst kreativ:
Bei dem Gelände vor dem Polizeipräsidiums handelt es sich nicht um eine Fläche, die von der Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG erfasst ist …
Darüber hinaus wird diese Fläche dem Sicherungskonzept der Liegenschaft des Polizeipräsidiums Aachen entsprechend videoüberwacht. Durch eine solche Videoüberwachung würde bei Zulassung einer Versammlung in das Grundrecht des Art. 8 GG eingegriffen, da die Entschließungsfreiheit zur Teilnehmer an der Versammlung beeinträchtigt werden könnte. Aus diesem Grund darf eine Versammlung nur in den engen Grenzen der Vorschriften des Versammlungsgesetzes videoüberwacht werden. …
Dies hätte zur Folge, dass bei einer möglichen Versammlungsanmeldung innerhalb der zur Sicherung der Liegenschaft videoüberwachten Bereiches diese Beobachtung deaktiviert werden müsste. Die Liegenschaftssicherung müsste dann durch Objektschutz durch PVB erfolgen, was erhebliche
Personalressourcen verursachen würde. Dies würde zu Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit der Verwaltung nach Art. 20 GG und insbesondere der Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörde Polizei sowie zur Beeinträchtigung des daraus resultierenden Hausrechts führen.Hier hat eine Abwägung im Sinne einer praktischen Konkordanz der widerstreitenden Interessen zu erfolgen: Zugunsten der Versammlungsfreiheit ist zu berücksichtigen, dass der Rang dieser auf Grund der Bedeutung für die freiheitlich-demokratische Struktur des Staates hoch ist. Durch eine Versammlungsfreiheit ist eine funktionierende Demokratie möglich, da neben der Versamlungsfreiheit in der Regel zudem der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG eröffnet ist. Allerdings ist daneben anzuführen, dass die Funktionsfähigkeit dieser Behörde, der Polizei, ebenfalls von besonderer Wichtigkeit für die Staatsordnung ist. Eine Störung der Funktionsfähigkeit des ordnungsgemäßen Ablaufs einer Polizeibehörde kann zur Folge haben, dass den Sicherheitsinteressen der Bevölkerung, deren Schutz sowie möglicherweise auch eine wirksame Strafverfolgung gefährdet würden. Nach alledem ist eine Versammlung auf der Fläche vor dem Polizeipräsidium nicht bestätigungsfähig.
Eine Versammlung vor dem Polizeipräsidium würde also die Funktionsfähigkeit der Polizei beeinträchtigen. Das spricht nicht gerade für die Funktionsfähigkeit dieser Behörde (was auch nichts schlechtes wäre) – aber es ist schon dreist, wie eine Polizei, die wochenlang für einen unnötigen Räumungseinsatz Kräfte aus dem ganzen Bundesgebiet anforderte, nicht in der Lage ist, eine angemeldete Versammlung zu ermöglichen. Oder die Option in Erwägung zieht, mitzuteilen, dass das Gelände videoüberwacht ist und den Anmelder der Versammlung zu fragen, ob die Versammlung trotzdem dort stattfinden soll, was natürlich ein (zu großer) Grundrechtseingriff wäre, aber immer noch weniger als die Versammlung dort komplett zu verbieten.
Ingesamt ist das Konstrukt so offensichtlich herbeigezogen wie die Räumung des Hambacher Walds aus Brandschutzgründen: Es geht darum, die Gesa-Mahnwache zu verbieten, solidarisches Empfangen von Freigelassenen zu erschweren und Kritik an Cops und deren Methoden nicht dulden zu müssen. Weil die autoritäre Formierung trotz neuer Polizeigesetze und immer mehr Befugnissen für die Polizei hoffentlich noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass das mit der Versammlunsgfreiheit kompatibel sein kann, hat der Versammlungsleiter Klage gegen die Auflage zur Versammlungsverschiebung eingereicht.